Abzocken auf Kosten der Landsleute

Entschädigungsforderungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft belasten das Leben von Deutschen in der Tschechoslowakei  ■ Aus Prag Sabine Herre

„Kulturverband der Bürger deutscher Nationalität in der Tschechoslowakei — Verband der Deutschen“ — lang und umständlich ist der Name jener Vereinigung, in der sich die Sudetendeutschen zusammengeschlossen haben, die in der CSFR leben. Über genaue Mitgliederzahlen schweigt sich der Vorstand aus — und dies aus zwei Gründen. Zum einen sind im Kulturverband nur etwa 7.000 der 67.000 Deutschen zusammengeschlossen, zum anderen — und hier beginnt die Politik — gibt es in der Tschechoslowakei seit wenigen Monaten einen zweiten: den „Verband der Deutschen“. Dessen Vorsitzender Walter Piverka, wirft dem 1969 gegründeten Kulturverband vor, ein „Verein der alten Strukturen“ zu sein.

Im Verband, dereinst von der tschechoslowakischen KP eingesetzt, sei es in den vergangenen 20 Jahren in erster Linie um eine möglichst rasche Assimilierung der Deutschen gegangen. Wichtige Arbeit zur Erhaltung der deutschen Kultur hätten allein die Basisorganisationen geleistet. Deshalb entstand in der Nationalitätenkommission des Bürgerkomitees auch eine Sektion, in der sich bisher unorganisierte Deutsche und diejenigen zusammenschlossen, die der „Säuberung“ des Kulturverbands in der Zeit der „Normalisierung“ nach dem Prager Frühling zum Opfer gefallen waren. Da die alte Führung auf ihre Rücktrittsforderungen nicht reagierte, beschlossen sie eine neue Organisation zu gründen. Über die genaue Größe seines Verbandes kann jedoch auch Piverka keine Auskunft geben. Der Grund hierfür: Bei einer erneuten Spaltung hatte der eine Teil die Mitgliederkartei mitgehen lassen.

So unterschiedlich die politische Vergangenheit der Führungsmitglieder beider deutscher Organisationen auch ist — mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft in der Bundesrepublik haben beide ihre Schwierigkeiten — und umgekehrt. Die Forderung nach Rückgabe des Besitzes der rund drei Millionen Vertriebenen erschwert in ihren Augen das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen in der CSFR. Wenn Bundesbürger im Mercedes anrollen um in Reichenberg, Eger oder Karlsbad ihre ehemaligen Güter zu filmen, wächst unter der tschechischen Bevölkerung die Angst. Wenn die Landeszeitungen in Reaktion hierauf Dutzende von Bildern abdrucken, welche die Begeisterung der Sudetendeutschen beim Einmarsch der Wehrmacht 1938 zeigen, kann es passieren, daß tschechische Jugendliche ihre deutschen Nachbarn mit „Heil Hitler“ grüßen. Den tschechischen Zeitungen lasten die Verbände ebenfalls einen großen Teil der Verantwortung für die derzeit so gespannte Atmosphäre in den Grenzgebieten des Landes an.

Natürlich gibt es Veröffentlichungen, die mit reißerischen Veröffentlichen über die Forderungen der Sudetendeutschen auf hohe Umsatzzahlen spekulieren. Die Mehrheit der Journalisten und Historiker, die sich zu diesem Thema äußern, bemüht sich jedoch um eine vorurteilsfreie Darstellung der Vertreibung. Es ist vor allem die Mehrheit der Bevölkerung, die weiterhin die Ansicht vertritt, die „Aussiedlung“ sei richtig gewesen. Gerechtfertigt wird sie mit dem Hinweis auf die Verbrechen der Nationalsozialisten im Protektorat. Als Vaclav Havel im vergangenen Jahr sein Bedauern über das geschehene Unrecht ausdrückte, konnten die Tschechen dies mit mehr oder weniger großen Vorbehalten noch akzeptieren. Eine Rückgabe des sudetendeutschen Besitzes wird jedoch entschieden abgelehnt.

Walter Piverka und Anton Bienert wollen sich in erster Linie für die im Lande vertriebenen Deutschen einsetzen; konkret geht es dabei um den Besitz der nach 1945 zwar nicht vertriebenen, aber enteigneten deutschen Facharbeiter und Antifaschisten. Gemäß einem vor wenigen Monaten beschlossenen Gesetz können Tschechen und Slowaken die Rückgabe ihrer nach 1948 verstaatlichten Häuser und Betriebe beantragen. Dieses Recht fordern die Funktionäre nun auch für die Deutschen ein, die Bestimmungen sollen auf das Jahr 1945 bzw. 1938, den Zeitpunkt der „Annektierung“ des jüdischen Besitzes im neuentstandenen Protektorat ausgedehnt werden. Doch auch in dieser Frage gehen Bienert und Piverka sehr vorsichtig vor. Ihnen ist anzumerken, daß sie alles vermeiden wollen, was den Haß und die Angst im Lande weiter schüren könnte. Ungern äußern sie sich zur Rückgabe einstigen sudetendeutschen Besitzes an die Vertriebenen in der BRD und Österreich.

Hier gehen dann aber auch die Meinungen der beiden Organisationen auseinander. Der Kulturverband verweist darauf, daß die Sudetendeutschen bereits in der Bundesrepublik entschädigt wurden, sie lebten in Wohlstand während die Deutschen in der Tschechoslowakei 40 Jahre lang um Arbeit, Brot und ihre elementarsten Bürgerrechte kämpfen mußten. Darum, so entrüstet sich Anton Bienert, hätte sich die Landsmannschaft nie gekümmert. „Selbst jetzt hat sie auf Bitten nach finanzieller Unterstützung nicht reagiert.“ Tatsächlich scheint die Landsmannschaft kaum an einer Zusammenarbeit mit den kommunistischen Funktionären interessiert zu sein. Auf einem Treffen ihrer Bundesversammlung in München trat allein Walter Piverka auf, sein „Verband der Deutschen“ steht den Positionen der Landsmannschaft näher. So vertritt er die Ansicht, daß die Entschädigungen weit unter dem tatsächlichen Wert des verlorenen Besitzes gelegen hätten. Da man die These der Kollektivschuld ablehne, müsse nun neu verhandelt werden.

Im Unterschied zu den Vorstellungen der Landsmannschaft setzt sich jedoch auch Piverka dafür ein, daß diese Gespräche von den Regierungen und nicht von Organisationen der Vertriebenen geführt werden. Bisher zeigt Bonn allerdings wenig Interesse an Entschädigungsverhandlungen. Man weiß nur zu gut, daß die tschechische Seite mit Reparationsforderungen reagieren würde. Da die Beträge der beiderseitigen Forderungen sich mit rund neun Milliarden D-Mark etwa entsprechen, scheint es am einfachsten, beide unter den Tisch fallen zu lassen. Davon jedoch will die Landsmannschaft nichts hören. Ihr genügt es nicht, daß die tschechoslowakische Regierung das Unrecht der Vertreibung anerkannt hat. Statt dessen fordert sie von einem Land, von dem niemand weiß, wie es den ökonomischen Umbau überstehen wird, Milliardenbeträge. Die Sudetendeutschen haben noch nicht einmal den ersten Schritt getan und ihren Teil der Verantwortung für die einstige Zerschlagung der tschecheslowakischen Republik übernommen. Nach Verhandlungen mit Abgeordneten des Bürgerforums hält deren Sprecher Franz Neubauer eine Rückkehr in die „alte Heimat“ erstmals wieder für möglich. Daß die tschechische Seite diese Interpretation der Verhandlungen dementierte, kümmert ihn wenig.