: »Die Gänseprinzessin«
■ Frei nach dem Märchen der Brüder Grimm
Stellt Euch einmal vor: es ist Sommer, die Sonne scheint warm und strahlend vom blauen Himmel, die Luft flimmert und Ihr seid irgendwo im Urlaub, an einem Ort, wo die Felder im Winde rauschen, die Bäume in der Hitze knarren und die Vögel träge auf den Ästen sitzen.
Irgendwann entdeckt Ihr beim Rumstromern eine alte Burg, deren Gemäuer schon lauter Risse hat, deren alte Festungsbrücke schon morsch ist und die schweren Ketten müde herunterhängen, und wo es im finsteren Burgturm nach Schimmel und Moder riecht. Ihr werft einen Blick in das trübe Wasser des Festungsgraben, in dem kleine flinke Wasserläufer scheinbar schwerelos herumlaufen und sich die Sonne eitel widerspiegelt.
Ihr setzt Euch ins Gras, seht den Schmetterlingen zu, wie sie von Blume zu Blume haschen und plötzlich passiert es: ihr beginnt zu träumen...
...Es war einmal ein junger und stolzer König, der lebte zusammen mit seiner Königin auf einer kleinen Burg. Die Sonne schien warm und strahlend vom Himmel und Schmetterlinge haschten von Blume zu Blume. Es herrschte Frieden ringsherum und die Menschen waren glücklich, denn der König regierte mit Sanftmut und Klugheit. Irgendwann gebar ihm seine Gemahlin eine Tochter, die sie Aurinia nannten und sehr, sehr lieb hatten.
Eines Tages aber zogen Gewitterwolken auf, denn fremde Vasallen fielen in das Land ein: der Krieg wurde ausgerufen. Der König warf sich in seine blitzende Rüstung, gab seiner Königin einen dicken Kuß, liebkoste sein Kind und zog schweren Herzens in den Kampf. Er kämpfte so stark wie ein Löwe und mähte die Feinde nur so nieder. Doch er mußte mitansehen, wie sein bester Freund durch ein tückisches Schwert niedergestreckt wurde. Diesem versprach er kurz vor seinem Tode, sich dessen kleiner Tochter Liesa anzunehmen. Kurz darauf traf ein verirrter Pfeil das Herz des jungen, stolzen Königs und ließ es für immer verstummen.
So wuchsen die beiden Mädchen Aurinia und Liesa heran, die eine als Prinzessin, die andere als Zofe, liebevoll umsorgt von der Königin. Sie waren zueinander wie Schwestern, spielten zusammen auf den Wiesen, flochten sich gegenseitig das Haar und lebten unbeschwert in den Tag hinein.
Als die schöne Prinzessin alt genug war zum Heiraten, gab ihr die Mutter drei wundersame Dinge mit auf den weiten Weg zu König Ivo, dem sie schon in jungen Jahren versprochen ward: einen Zauberbecher, der sich immer wieder mit Wein füllt, den treuen Hengst Fallada und ein seidenes Tuch mit drei Blutstropfen der Königin darin, die drei Wünsche in Erfüllung gehen lassen konnten. Dann zogen die beiden Mädchen, die eine als Prinzessin, die andere als Zofe, von dannen.
Der Weg ins fremde Königreich war uneben und beschwerlich. Bewacht von einem alten Soldaten, der sich immer selbst im Weg stand, mußten reißende Flüsse überquert, tiefe Sümpfe durchwatet und durch das dichteste Schneegestöber geritten werden. Als man schon fast am Ziel war, der Königshof beinahe in Sicht kam, da plötzlich wurde aus der Spielgefährtin Liesa ein heimtückisches Wesen: es raubte Aurinia die teuren Kleider, den Zauberbecher, das seidene Tuch und den Hengst Fallada. Sodann begab sie sich an den Hof und als Braut des Prinzen aus. Den alten Soldaten hatte sie kurzerhand mit Hilfe des Tuchs hinweggezaubert.
Aurinia mußte fortan als Gänsemagd ihren Dienst tun, den Hengst ließ die arglistige »Königin« töten und seinen Kopf über dem Tor anbringen, durch das Aurinia jeden Morgen ihre schnatternden Gänse trieb. Traurig war die unfreiwillige Gänsemagd, aber fleißig und hilfsbereit zu allen, denn sie hatte ein Herz aus purem Gold. Liesa aber war eine boshafte und herrschsüchtige Braut, die am Hof nicht wohlgelitten war.
Prinz Ivo aber hatte sich längst in die fröhliche und schöne Gänsemagd verliebt, die ja keine war. Der alte König war ratlos und versuchte nun, hinter das Geheimnis der beiden Mädchen zu kommen, denn als weiser König spürte er, daß hier etwas nicht stimmte.
Als Liesa Aurinia in den abgrundtiefen Turm werfen ließ, befreite Ivo kurzentschlossen seine kleine Gänsemagd. Ein paar Tage später hörte der alte König, wie der Kopf des treuen Hengstes vom Tor herab zu Aurinia als Königin sprach; da wußte der alte Herrscher, was die Glocke geschlagen hatte. Die Wahrheit kam ans Tageslicht....
Aber wie das Märchen nun endet, welche der beiden Mädchen der junge König zur Frau nimmt, wie der Hengst Fallada wieder lebendig wird und und und, das soll hier nicht verraten werden.
Den Kinderfilm des Monats Januar könnt Ihr Euch ab sofort im Kino ansehen. Ein bißchen lang ist das Märchen ja, aber mit viel Liebe und Detailtreue inszeniert. Diejenigen unter Euch, die sehen wollen, was im Reich der Märchen und Fabeln so alles geschieht, welche Abenteuer bestanden werden müssen, damit das Gute über das Böse siegt, werden ihren Spaß haben. Boris Erdtmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen