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Rausch und Remmidemmi

■ »Schandflöte« — ein Film- und Musikfestival zu den Anfängen elektronischer Musik

In Kreuzberger libyschen Volksbüro werden die letzten Vorbereitungen zu einem Festival mit begleitender Ausstellung zu den Anfängen elektronischer Musik getroffen. Ein Büro namens »Kreative Kommunikation Kreuzberg e.V.« organisiert eine achttägige »Konferenz zum audiovisuellen Optimismus: Schandflöte für schlechte Musikanten«.

Den Eröffnungsabend am Freitag bestreiten H. P. Neidhart, der »Sultan des elektrischen Swing«, der mit dem Programm »disziplinierender Sequenzen aus Tape- Recordern und Oszilloskopen« erschreckt, Dirt Side und schließlich Tumor of Tomorrow, die mystisch- lyrisch charakterisiert werden als »neuroelektronische Ambient-Musik, durchbrochen bleierne Rhythmen, visuell begleitet von Darstellungen fluoreszierender Gehirne, aufgenommen durch Elektronenmikroskope«. Dr. Heinrich Dube wird den ersten Abend mit einem »klassischen Diaabend« beschließen. Als Dreingabe wird zudem einer der Klassiker des Science-fiction-Films der siebziger Jahre, The day the earth stood still, aufgeführt, der in seiner Verwendung elektronischer Musik wegweisend war. Zur Anwendung gelangten damals vier Theremins und ein Sine-Wave-Generator. Der Theremin ist jener von einem Russen konzipierte Synthesizer, bei dem durch das Bewegen der Hände zwischen zwei Antennen Töne entstehen. Lenin soll das gemocht haben.

Am Samstag führen die Forbidden Fruits (Alexander Tuchacek, Axel Otto, Frank Schulte sowie der seit Monaten mit seinem Stück Space violin in Berlin gastierende Jon Rose) eine Bewegungs-Licht-Ton-Performance auf. Ausgehend von der Grundüberlegung, Prozesse zu visualisieren, die für das Publikum oft undurchschaubar wirken, entwickelten die Forbidden Fruits folgendes Konzept: Der Raum wird mit Sensoren bestückt, die die Messung von Lichtintensität und -brechung ermöglichen. Die so gewonnenen Informationen können mittels eines — für das Publikum offensichtlich durchschaubaren — spezifischen Computerprogramms in Töne umgewandelt werden. In Echtzeit. Anhand einer fixen Zeitpartitur bewegen sich die Künstler durch dieses überdimensionale Instrument; rhythmische Bewegungsabläufe und Gesten verändern den jeweiligen Lichteinfall auf die Sensoren und erzeugen so Klänge. Von »Lichtsituationen« ist folgerichtig die Rede.

Ebenfalls am Samstag wird die ominöse Kulttruppe Trick Beat in Erscheinung treten. In Selbstbezichtigungsschreiben ist die Rede von den »jahrhundertealten Plattheiten der Musikindustrie — Sexbettelei, Rausch und Remmidemmi —, Dauerverarschung, die gern konsumiert wird«. Wogegen Trick Beat »bedrohlich wird durch die außergewöhnliche Arbeit mit dem Sinn«. Bemerkenswert, daß sich mit diesem anthropoarchäologischen Kleinod tatsächlich noch jemand beschäftigt. Die Gruppe liefert einen harten, tanzbaren Beat, den sie jedoch immer wieder abbricht, um »Sketchnummern« einzubauen. Als »Kinder von Ingrid Steeger und Charles Manson« werden die Geilenkirchener um »Kult«-Theo bezeichnet. Preßwerke, Vertriebe, Plattenläden, Radiostationen vermieden es, mit der zweiten LP Nena Menstruationsbrigade irgend etwas zu tun zu haben.

Wie Trick Beat arbeitet auch Markus Schwill, dessen Vorführung den Samstagabend beenden wird, ausschließlich mit vorproduziertem, archiviertem Müll. In seinem Fall sind das Kassetten mit Noise-Sound.

Die Gemeinde der »echten« Kunst darf sich dann auf die Zelebrierung »ausgewählter Videoarbeiten der siebziger Jahre« freuen, andächtig auratisch-erhabene Langeweile vor Filmen von Dupoy, Moore, Wood, Paik, Meedle, Vasalka und Robert Wilson pflegen.

Die ersten Veranstaltungen der kommenden Woche stehen gleichfalls unter den Zeichen einiger alter Männer des optisch-akustischen elektronischen Experiments. Montags wird eine umfassende Werkschau die Arbeit von Rafael Montanez Cortiz dokumentieren. Seit 1963 wirkt und lehrt Cortiz von der Prämisse ausgehend, die Kunst zu allen Dingen zu bringen und alle Dinge in die Kunst. Sein Schaffen erstreckt sich über die Bereiche Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Performance, Geräusch- und Lärmmusik und Video. Nachdem er dem Computer zunächst ablehnend gegenüberstand, bezieht er diesen inzwischen verstärkt in sein Tun ein, meint gar, »das künstliche Äquivalent zum Stein der Weisen gefunden zu haben«.

Nicht nur in Ton- und Bilddokumenten anwesend, sondern ganz echt in Fleisch und Blut wird am Dienstag dann Oskar Sala zugegen sein. »In den dreißiger Jahren wurden überall auf der Welt die ersten Synthesizer entwickelt. In Köln arbeitete zu der Zeit Prof. Friedrich Trautwein an dem nach ihm benannten Trautonium, Oskar Sala entwickelte das Trautonium über die Jahre weiter, was nach dem Krieg zum Mixtur- Trautonium führte, einem Bastard aus Saiten- und Tasteninstrument, das wesentlich mehr Töne zu erzeugen vermag als beispielsweise ein Klavier. Salas größter Erfolg mit diesem Instrument war zweifelsohne seine musikalische Untermalung von Hitchcocks ‘Die Vögel‚.«

Mittwochs und donnerstags führt Paul Sharits, einer der Pioniere des Experimentalfilms, einige seiner Werke vor. Bekannt wurde Sharits in den frühen sechziger Jahren insbesondere durch seine »Flicker- Filme«, bei denen der Transport der Filmeinzelbilder durch Kamera und Projektor zum stilbildenden Merkmal ausgearbeitet wurde. Sharits zerlegte die filmische Illusion von Bewegung/Geschichte in konkretes »Flackern«.

Auch im Ballhaus Naunynstraße wird der Ablauf des UN-/USA-Ultimatums am 15. Januar, also am kommenden Dienstag, eine zentrale Rolle einnehmen. Gedacht ist an eine Art Countdown bis null Uhr. Eine Schaltung zum amerikanischen Kabelsender CNN wird es geben, und es besteht die Hoffnung auf eine weitere Verbindung direkt in die Türkei. Da das gesamte Ballhaus während des Festivals zu einem permanenten Echtzeit-Nichtort wird, also sämtliche Ereignisse gleichzeitig aufgenommen und auf Monitore übertragen werden, mischen sich die Bilder vom medialen Kriegsgetümmel bruchlos mit denen des Festivals. Zudem wird es eine Art »Videospiel« geben, eine feste Installation, womit Besucher, die in Echtzeit [schickes Wörtchen, nich' wahr, Rudi? d. säzzer] eingehenden Bilder mit präparierten Tapes mischen und in die angeschlossenen Systeme einspeisen können. R. Stoert

Konferenz zum audiovisuellen Optimismus: Schandflöte für schlechte Musikanten. 11. bis 19. Januar im Ballhaus Naunynstraße 27. Eintrittspreise: 5 bis 15 DM.

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