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Prost und Protest

■ Mein kleines Vorkriegs-Tagebuch 6.Folge / 11. Januar

11. Januar

Wird wohl ein schweres Widerstandswochenende: Die Kirche hat in der Asservatenkammer für immerwährendes und akutes Unrecht gekramt. Für Sonntag sind Schweigeminuten, Fürbittandachten, Mahnwachen und verschärftes Glockengeläut in Aussicht gestellt.

Die Säkularprotestler (Abt. Straße) treffen sich bereits am Samstag unter der Normaluhr »5 vor 12 — Stoppt den Krieg am Golf — Kein Blut für Öl« verspätet um 13 Uhr MEZ am Adenauerplatz zu einer Großdemonstration (mit vorausgesehenen über 6.000 Menschen). Wer zu diesem Arbeitstreffen nicht kommen kann, sollte seine deutsche Betroffenheit durch die Spende auf ein Sparkassenkonto ausdrücken: »Stichwort: Arbeit gegen den Golfkrieg«. Im Ernst.

Auch die Tänzer auf dem Wertpapierparkett sammeln Protestgeld: Trotz der verspielten allerletzten Chance Asis-Baker zeigte die Börsentendenz am Donnerstag bloß »zufallsbedingte Schwankungen, der Deutsche Aktienindex lag im Plus, Chemiewerte waren deutlich steigend«. Am Freitag: ungebrochen verhaltener Optimismus.

Widerstand auch gegen den kriegsbedingten Zusammenbruch von Filiationslinien. Verstärkt haben verheiratete amerikanische Soldaten vor ihrem Einsatz in der Wüste von der postmortalen Fortpflanzungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Damit die Kriegerwitwen auf ihren Kriegshalbwaisen nicht verzichten müssen, lagern die Heldenkinder in spe tiefgekühlt in Spermadepots ein. Die Kosten trägt das US-Verteidigungsministerium.

Ungeahnte Potenzen auch in der Berliner Bevölkerung. Seit Tagen scheint es kaum noch Staus auf den Straßen zu geben. Alle meine Bekannten kommen zu früh zu ihren Verabredungen und grüßen mit einem »Ich bin gut durchgekommen«. Berliner lassen ihr Auto stehen? Basisdemokratischer Widerstand, vorbei an der ADAC-Partei? Ich rufe Uschi in München an: Sie sitzt in der PR-Abteilung (nicht Park and Ride) dieses Clubs. Ja, sagt sie, der Vorstand sei besorgt wegen der Entwicklung. Am Montag, also noch vor Ablauf des UN-Ultimatums, tritt der ADAC auf die Bremse, um noch schnell zur Friedensspeerspitze zu werden. Genereller Tankstellenboykott, Motto »Ich tanke kein Blut«.

Die Karnevalsfunktionäre pokern noch härter und protestieren lieber nachher: Wenn am 8. Februar noch Krieg ist, werden sie natürlich nicht...

Und schließlich meine Exfreundin Manuela und ihr Mann Lutz. Heute in ihrer Werbeagentur vorbeigeschaut. Sonst gab's zur Begrüßung immer ein Gläschen Champagner oder wenigstens Sekt. »Das machen wir jetzt nicht mehr«, erklärt mir Manuela mit den fiebrigen Augen einer Fanatikerin, der sich plötzlich das politische Leben zum Seinssinn gebündelt hat. »Der Lutz hat im 'Handelsblatt‘ gelesen, daß wir damit ja diesen ganzen Wahnsinn aktiv mitbezahlen: Die Sektsteuer wurde 1902 zur Finanzierung des deutschen Flottenaufbaus eingeführt. Merkwürdigerweise 1933 zur Überwindung der Wirtschaftskrise vorübergehend außer Kraft gesetzt. Aber nur bis 1939. Dann kam sie wieder als Kriegszuschlag. Ja, und seitdem zahlen wir, mit jeder Flasche... Deshalb sind wir beide jetzt auf Prosecco umgestiegen. Der prickelt auch, aber eben friedlich.« Mit einem leisen plopp! öffnet sich die Flasche in der Kriegsverweigerinnenhand. Wir prosten uns zu. Christel Ehlert-Weber

Wird bis zum 16.1. täglich

fortgesetzt.

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