: Was nützt ein Brief an Hussein?
■ Eine Schulklasse machte sich Gedanken über die Golfkrise/ Briefe nach Bagdad und ins Weiße Haus
Kreuzberg. »Was passiert, wenn Irak den Krieg verliert, wird es dann auch in Sektoren aufgeteilt wie Berlin?« 26 Kinder der Klasse 5a, Heinrich-Zille-Schule, Kreuzberg, diskutieren über den Golfkrieg. Als Mathelehrer Klaus Emrich, 39, den Zehn-bis Elfjährigen vor vier Tagen die Diskussionsstunden anbot, gab es uneingeschränkte Zustimmung. »Viele Kinder haben ganz persönliche Ängste, weil Verwandte im türkisch-irakischen Grenzgebiet leben«, sagt Emrich. Ein Drittel der Kinder hat türkische Eltern.
Warum droht am Golf ein Krieg? »Krieg ist nicht nur wegen des Öls, sondern weil Saddam so viele Schulden hat nach dem Krieg mit dem Iran. Darum hat er Kuwait überfallen, um an die Bank zu kommen«, sagt Benjamin. Nastassja schlägt vor, die Ölfelder unter den Kontrahenten aufzuteilen, was Timor wiederum für unrealistisch hält: »Würdest du vielleicht deinen Besitz mit jemandem teilen?« »Wenn's sein muß,« lautet die Antwort. »Jedenfalls würde ich keinen Krieg deshalb führen.«
Daß Hussein Öl, Geld und Macht will, versteht jeder von ihnen. Da gibt es kein Moralisieren. Aber Krieg als Mittel zum Erfolg? Zerstörte Häuser, Verletzte und Tote sind nicht nur Fernsehbilder, wenn in der eigenen Klasse um Verwandte gebangt wird.
Irgendwas wollen sie tun. Es gibt eine Menge Vorschläge, die praktische Umsetzung bereitet jedoch einige Kopfschmerzen. Hussein anrufen? »Hast du überhaupt seine Telefonnummer? Was meinst du, wieviele Leute da anrufen. Da wird immer besetzt sein.« Einen Brief schreiben? Saskia: »Ich weiß nicht, ob er den Brief überhaupt liest. Er kann nicht unsere Sprache, und dann denkt er, so einer Klasse brauch' ich nicht zu glauben.«
Timor: »Ich wette, wenn wir den Brief schreiben, kriegt Hussein den nie zu Gesicht. Den nimmt vorher einer seiner Leute und schmeißt ihn weg.« Nach diesem Einwand herrscht in der Klasse kurz Ratlosigkeit. Dann sagt Laura: »Wir könnten den Brief verdeckt schicken, als Liebesbrief. Und ‘persönlich‚ drauf schreiben.«
Also ein Brief. Mehtap will schreiben, daß in der Türkei viel Blut fließen wird und sie Angst um ihre Leute hat. Benjamin hofft auf Husseins Vernunft: »Es passiert ihm das gleiche wie in Deutschland. Die haben auch mal versucht, gegen alle Krieg zu führen. Hat auch nicht geklappt.« Mimi sieht die Sache mehr pragmatisch: »Wir können ihm schreiben, daß wir verstehen, daß er die Ölfelder haben will und ihm sagen, daß er ein paar behalten kann, wenn er die Preise nicht erhöht.« Dazwischen fragt immer wieder jemand zweifelnd, ob es überhaupt nützt, so einen Brief zu schreiben. »Wahrscheinlich nicht«, ist die allgemeine Meinung. Sie haben ihn trotzdem geschrieben. Anja Seeliger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen