»Parlament kommt von ‘parlare‚«

■ Auf der konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses kam keine Feierstimmung auf

Berlin. Auf harten Kirchenbänken bei miserabler Akustik ist schlecht arbeiten: Der Ort für die konstituierende Sitzung des ersten Gesamtberliner Parlaments nach 40 Jahren war zwar symbolträchtig gewählt, Feierstimmung wollte aber nicht einmal zu Beginn dieses erneuten historischen Ereignisses aufkommen. Die Protokollverantwortlichen hatten sich im Vorfeld auf eine Mischung von feierlicher Eröffnung und parlamentarischer Routinesitzung geeinigt.

Bis auf wenige Momente herrschte in der erst vor wenigen Jahren restaurierten Nikolaikirche — der ältesten der Stadt, die gleichzeitig auch ein Museum ist — große Unruhe und ein ständiges Kommen und Gehen. Eine Viertelstunde dauerte es allein, bis die Beschlußfähigkeit des Hauses dadurch festgestellt wurde, daß jeder der 241 Abgeordneten namentlich aufgerufen wurde. »Mich stört das nicht«, erklärte der Noch-Regierende Walter Momper im Gespräch. »Parlament kommt von ‘parlare‚, das heißt reden, dafür sind wir hier«, konnte er sich nicht verkneifen zu dozieren. Und so war es wie bei anderen Sitzungen auch. Es wurde geredet und geredet...

Noch einmal unbeliebt hatte sich der scheidende Präsident Wohlrabe durch seine Einladepolitik gemacht: Von den 150 Ehrengästen lud allein er 140 ein, für die Präsidentin der Stadtverordnetenversammlung, Christine Bergmann, blieben nur zehn Wunschgäste übrig. Seine Nachfolgerin »Hanna Granata« nahm die Zügel um so straffer in die Hand, Frau Lehrerin pocht auf genaue Einhaltung der Geschäftsordnung. Weniger penibel verfuhr der Alterspräsident Klaus Franke bei der Abstimmung über die Erstreckung der modifizierten Verfassung auf ganz Berlin. Demonstrativ ließ er bei diesem »historischen« Akt diejenigen aufstehen, die dem Verfahren zustimmten — also die große Mehrheit aus SPD, CDU, FDP und AL. Auf die Zählung der Gegenstimmen verzichtete er großzügig. Nicht ohne Peinlichkeit auch die Wahl der VizepräsidentInnen. Nachdem CDU und SPD durchgesetzt hatten, daß ihre Zahl von zwei auf drei erhöht wird, herrschte offensichtlich Verwirrung: Im gemeinsamen Wahlgang kreuzte fast ein Drittel der Abgeordneten alle vier Namen an, die zur Wahl standen — obwohl nur drei gewählt werden durften. Um ein Haar hätte die Wahl wiederholt werden müssen, Ex-OB Schwierzina erhielt nur knapp die erforderliche Stimmenzahl.

SPD und CDU übten sich — nicht zum ersten Mal — im gemeinsamen Pfötchenheben. Zusammen verfügen sie über eine satte Mehrheit von 177 Stimmen und können jeden Antrag der Opposition abschmettern. Räumlich saßen die künftigen Elefantenhochzeiter getrennt: Die CDU auf der linken Seite des Mittelganges, die SPD auf der rechten. In der ersten Reihe auf SPD-Seite die Traumpaare der Sitzung: SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt schäkerte inniglich mit seiner Ex-Koalitionspartnerin Renate Künast, daneben im trauten Gespräch Christine Bergmann und Walter Momper. Kordula Doerfler