: Kein Plattenbau für die Sowjetsoldaten
Wer darf in der UdSSR 36.000 Wohnungen errichten?/ Klagen über mangelnde Beteiligung ostdeutscher Firmen — aber die West-Baukonzerne sind auf deren alte Verbindungen angewiesen/ Ausschreibung durch die Industrie selbst erarbeitet/ Von des Ex-Ministers Viehweger gescheiterten Bemühungen ■ Von Donata Riedel
Im Oktober war ein Aufatmen durch die schwer gebeutelten ostdeutschen Baufirmen gegangen. Soeben hatten sich Bundes- und Sowjetregierung auf ein Wohnungsbauprogramm für die Soldaten der Roten Armee geeinigt, die noch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationiert sind. „Prima. Jetzt brauchen wir nicht zu entlassen“, freute sich René Kinzel, Ingenieur der Wärmeanlagenbau GmbH in Berlin-Mitte: Hatte die Bundesregierung doch gleichzeitig angekündigt, daß vorwiegend Firmen aus den fünf neuen Bundesländern die 36.000 Wohnungen im Werte von 7,8 Milliarden Mark bauen sollen, auf daß die Arbeitsplätze der dortigen Bauindustrie erhalten bleiben.
Darauf vertrauend, daß es das erklärte Ziel bundesdeutscher Wirtschaftspolitik sei, den Mittelstand zu fördern, hofften auch kleinere Firmen wie die Bauwemo GmbH & Co KG, aus einer Produktionsgenossenschaft hervorgegangen, auf ihr Stück aus dem großen Kuchen. Und die Wärmeanlagenbauer, die sich alsbald um Informationen aus Bonn bemührten, freuten sich nun, ihre langen Erfahrungen mit der Sowjetunion marktwirtschaftlich nutzen zu können.
Doch 7.800.000.000 harte D-Mark lassen auch westliche Unternehmer nicht kalt. Baulobbyisten aus West wie Ost bemühen sich seither um das lukrative Geschäft, das bis 1994 durchgezogen werden soll, um die Rotarmisten schnellstmöglich loszuwerden.
„Wir versuchen, vom Ministerium Informationen zu bekommen, und merken dann, daß die Großen aus dem Westen alle schon dabei sind“, ärgert sich Ingenieur Kinzel. „Dabei sind die Soldaten doch bei uns stationiert und nicht im Westen.“ Wer unter den Sowjets gelitten habe, solle nun bitteschön auch das Geschäft mit ihnen machen dürfen.
Die Informationen, die schließlich, wenn auch spärlich, aus Bonn nach Ost-Berlin gelangen, erwecken tatsächlich den Eindruck, daß die großen Westfirmen bereits dabei sind, die zwei Millionen Quadratmeter Wohnfläche unter sich aufzuteilen. So werden die Ausschreibungsunterlagen von einer Arbeitsgemeinschaft Wohnungsbau (Arge Wobau) erarbeitet. Diese Projektleitung ist beim Bauriesen Philipp Holzmann in Frankfurt (am Main) untergebracht. Federführend bei Ausschreibung, Bauüberwachung und Bauabnahme ist ein Konsortium von fünf westlichen Ingenieurbüros, vorneweg die Münchener Dorsch Consult, die zweitgrößte Beratungsfirma Gesamtdeutschlands.
Was die Geschichte für Ostfirmen so undurchschaubar macht, sind bei näherem Hinsehen allerdings nicht so sehr die Mauscheleien einer westdeutschen Baumafia, sondern eine Mischung aus bundesdeutschem Baurecht, den Interessen der Baulobby, Bonner Informationsgepflogenheiten und der Komplexität des Großprojekts.
„Bei kaum einem Großauftrag haben wir so peinlich darauf geachtet, alles nach Recht und Gesetz zu machen, wie bei diesem“, beteuern Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Bisher ist demnach noch kein Bauauftrag vergeben. Die Arge Wobau, zu deren 54 Mitgliedsfirmen außer Philipp Holzmann weitere Branchengrößen wie Hochtief, Mannesmann, Süba und Züblin zählen, hat lediglich die technischen Ausschreibungsunterlagen zu erstellen, in denen die einzelnen Bauarbeiten detailliert beschrieben werden. Sobald sie damit fertig ist, soll sich die Arbeitsgemeinschaft wieder auflösen, in der von östlicher Seite fünf Firmen vertreten sind: aus Ost-Berlin die Bestahl Stahlbau und die Intech Bau Union, aus Eilenburg die Ebawe Maschinenbau, ferner die Erste Baugesellschaft Leipzig und die Hentschke Baugesellschaft Bautzen.
Die Aufträge selbst werden dann nach einer internationalen öffentlichen Ausschreibung von der sowjetischen Seite vergeben. Das Fünfer- Konsortium unter Führung der Dorsch Consult betreut lediglich die laufenden Arbeiten und achtet auf die Qualität. Öffentlich kontrolliert wird das ganze von der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Daß die Bauindustrie die Ausschreibung selbst vorbereitet, auf die sie sich dann bewerben wird, findet im Bundeswirtschaftsministerium niemand bedenklich. Es handele sich um einen Auftrag, der so groß ist, daß die wenigen Fachleute aus dem kleinen Bundeswirtschaftsministerium ihn selbst in der kurzen Zeit nicht bewältigen könnten, heißt es — weshalb sich das Ministerium frühzeitig an die Verbände der Bauindustrie und des Bauhandwerks um Hilfe gewandt habe. Die Startchancen der ostdeutschen Firmen seien vielleicht nicht ganz so gut wie die der westdeutschen, weil sie an die internationalen Standards noch nicht gewöhnt seien und zudem oft noch heftig mit der Reorganisation ihrer Betriebe zu tun hätten.
Daß so die 7,8 Milliarden zum alleinigen Nutzen des Westens verbaut werden, weisen allerdings sowohl die Firmen aus der Arge Wobau und aus dem Consulting-Konsortium als auch das Ministerium entschieden zurück. „Ohne die Erfahrungen der Ostdeutschen mit der Sowjetunion“, sagt der Sprecher der Arge Wobau, Süba-Manager Adolf Ambrosch, „können die Westfirmen diesen schwierigen Auftrag gar nicht schaffen.“ Das beteuern sämtliche West- Baumänner — Frauen kommen in der Branche offenbar nur als Sekretärinnen vor — auf Anfrage. Deshalb hätten sich schon mehrere Westfirmen östliche Partner gesucht.
Genau das aber ärgert wiederum manche Ostler, die sich auf diese Weise in die Rolle des kleinen Anhängsels westlicher Bauriesen gedrängt fühlen. Axel Viehweger, letzter (CDU-)Bauminister der DDR, findet es unerträglich, daß „wir immer nur die Subunternehmer sind“. Die ostdeutsche Bauwirtschaft hätte „sofort anfangen können zu bauen“, schließlich kenne man sich in der Sowjetunion aus. „Die Sowjetunion hatte doch schon eine Ausschreibung für Wolgograd gemacht, auf die sich die Ostfirmen bereits beworben hatten“, klagt er. Diese „Ausschreibung“ aber stand beim Bundeswirtschaftsministerium alsbald im Verdacht, von den Moskauer Bürokraten zielgruppengerecht auf die altbekannten VEB-Bauer zugeschnitten worden zu sein, und wurde kurz darauf nach Protesten der Bonner Ministerialen von den Sowjets zurückgezogen. Die Offerte habe zwar, räumt selbst Viehweger ein, nicht internationalem Standard entsprochen, sei aber immerhin „detaillierter gewesen als in den Jahren vorher“.
Daß sich ausgerechnet Viehweger über Lobbyismus beschwert, dürfte den Ostfirmen allerdings eher schaden als nutzen. Der Ex-Minister ist inzwischen Geschäftsführer der Consultingfirma Kracon in Bremen, die die Bewerbungen ehemaliger VEB-Baubetriebe in Moskau eingereicht hat. „Ich mache den Lobbyisten für die ostdeutsche Bauindustrie, weil die ja sonst keine Lobby hat“, rechtfertigt Viehweger die Verquickung seines politischen Engagements mit Geschäftsinteressen.
Im Westministerium hat er's wohl überzogen. „Die bisherige freie Auftragsvergabe der Sowjets wollen wir natürlich nicht“, gibt Ministeriumssprecher Volker Franzen den Mauschelvorwurf zurück an „Herrn Viehweger, dessen persönliche Probleme nun wirklich niemanden mehr interessieren“. Die Sowjets hätten im übrigen keine Lust mehr auf ostdeutsche Baustandards: Sie wollten „endlich weg von der Platte“.
„Unser Angebot“, verteidigt sich der so Gescholtene, „hat genau den Anforderungen der Sowjets entsprochen.“ Außerdem sei, so Viehweger wörtlich zur taz, „Platte nicht gleich Platte. Wenn unsere neuen zusammengebaut sind, sieht man gar nicht mehr, daß es Platten sind.“
Doch auch im Osten geht manch einer auf Distanz zum altgedienten CDU-Minister. „Daß die alten VEB ihren Einfluß sichern wollen, damit habe ich nichts zu tun“, sagt der Neu- Mittelständler Horst Seefeld von der Bauwemo. Und auch Dietmar Quaas, Export-Experte der Intech Holding, ehemals VEB Wohnungsbaukombinat Berlin, deren Tochter Intech Union in der Arge Wobau mitplant, findet, daß „das alles zur Zeit noch nicht so heiß ist“.
Quaas glaubt, daß bei dem Großauftrag „genug für alle da ist“. Gebe es Mauscheleien, würden sie sich erst bei der konkreten Auftragsvergabe zeigen. Die erfolgt im März.
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