Kein Rechtsruck des Bürgerforums

In Prag konstituierte sich das Bürgerforum als Partei, behielt aber seine pluralistische Orientierung bei/ Dienstbier: Demokratischer Umbau des realsozialistischen Systems am wichtigsten  ■ Aus Prag Sabine Herre

Das Bürgerforum gibt sich die organisatorische Struktur einer Partei, ihr Platz im politischen Spektrum des Landes bleibt jedoch weitgehend ungeklärt. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der zweitägigen Beratungen von rund 180 Delegierten der einflußreichsten politischen Kraft der Tschechoslowakei.

Entsprechend enttäuscht zeigte sich Václav Klaus, der Vorsitzende des Bürgerforums (OF). Für ihn endete der Kongreß mit einer deutlichen Niederlage. Entgegen vieler Erwartungen kam es nicht zu dem von Klaus befürworteten Schwenk Richtung Mitterechts. Mit Hilfe eines in weiten Teilen unkonkreten Programms konnte die Spaltung der Bewegung in eine konservative, eine liberale und eine linke Partei verhindert werden.

Dabei hatte für den alerten Finanzminister alles so gut begonnen. Bereits an der Eingangspforte des Kongreßschauplatzes waren seine Anhänger nicht zu übersehen. An ihren eleganten Sakkoaufschlägen hatten die Buttons mit den Schriftzügen „OF“ oder „Havel“ Anstecknadeln mit der Aufschrift „Klaus“ Platz gemacht. Bedrängt von Fernsehteams und Photographen hielt er seine mit großer Zustimmung bedachte Eröffnungsrede. Erfolgreich verlief auch die Abstimmung über die Frage „Partei oder Bewegung“. 126 Delegierte stimmten für die Umbildung, nur 25 sprachen sich gegen sie aus.

Tatsächlich aber war für die Gegner des Vorsitzenden die „Parteifrage“ längst entschieden. Wichtiger waren ihnen die Statuten und das Programm der neuzubildenden Organisation. Hier argumentierten sie erfolgreich. Es gelang, die Delegierten davon zu überzeugen, daß das OF als ein Diskussionsforum verschiedener politischer Strömungen erhalten bleiben müsse. Mit Sentimentalität wurde dabei an die Entstehungsgeschichte der Bewegung erinnnert. Diese Geschichte begann im November 1989, als sich im OF die realsozialistischen Dissidenten mit den Vertretern bisheriger Blockparteien zusammenschlossen. Ihr gemeinsames Ziel war der Sturz der kommunistischen Regierung. Doch schon bei den ersten Auseinandersetzungen über die ökonomische Reform wurde deutlich, daß die Vielfalt der häufig gegensätzlichen Meinungen einen schnelleren Umbau des Wirtschaftssystems verhindern würden. So kamen die Diskussionen über die organisatorische Zukunft des Bürgerforums bereits im Spätsommer in Gang. Damals war es Vaclav Havel, der eine Stärkung der „vertikalen Strukturen“ forderte. Der Präsident hatte jedoch sicher nicht damit gerechnet, daß bei der Besetzung des neugeschaffenen Amtes eines „Bewegungsvorsitzenden“ „sein Mann“ — der verdiente Chartist Martin Palous — dem „Newcomer“ Klaus unterliegen würde. Ging doch in der Basis die Nachricht herum, Klaus habe es im Frühjahr 1989 abgelehnt, eine Petition für den damals inhaftierten Havel zu unterzeichnen.

In den folgenden Monaten wurden die Unterschiede zwischen der Burg, dem Amtssitz Havels, und dem Finanzministerium immer deutlicher. Klaus betonte wiederholt seine Auffassung, daß Bürgerbewegungen wie die Charta 77 für die Entwicklung der CSFR-Gesellschaft unbedeutend seien. Statt dessen setzte es voll auf den „homo oeconomicus“. Im Dezember des vergangenen Jahres konnte er seine Forderung nach einer Partei rechts von der Mitte und mit festen Strukturen auf einem Aktivistentreffen durchsetzen. Die Opposition gegen Klaus regte sich spät. Mitte Dezember gründete sich der „Liberale Club“. Ihm gehören neben rund 40 Prozent der Parlamentsabgeordneten des Bürgerforums acht der zehn OF-Minister an. Václav Klaus und Wirtschaftsminister Vladimór Dlouhý sahen sich in der Regierung mit einem Mal in der Minderheit. Bereits in den Tagen vor dem Kongreß war der Vorsitzende deshalb zu Kompromissen bereit. Seine Formulierung von einer „Partei rechts der Mitte“ verschwand sang- und klanglos. Aber auch dem am ersten Beratungstag vorgelegten Programmentwurf wollten die Liberalen Delegierten nicht ohne Änderungen zustimmen. Pavel Rychetský, stellvertretender Ministerpräsident und einer der Sprecher des Clubs, legte gar für den Abschnitt „Rechtsstaat“ einen gänzlich neuen Textentwurf vor. Während in den Formulierungen des Finanzministers eher die Grenzen als die Möglichkeiten der bürgerlichen Rechte deutlich werden, betont Rychetský, daß der Staat in erster Linie die Aufgabe habe, die Verwirklichung dieser Rechte zu sichern. Ebenso wie hier einigten sich die Delegierten auch beim Thema „Umwelt“ auf einen Kompromiß. Der Orginalton Klaus lautete: „Die Erhaltung der Umwelt sichert erst der gut funktionierende Markt!“ Der Parteitag ergänzte: „...der gut funktionierende Markt, der Rechtsnormen, vergleichbar mit denen der Europäischen Gemeinschaft, respektiert.“

Zu Kompromissen waren jedoch nicht nur die Anhänger des Vorsitzenden, sondern auch die Liberalen bereit. Außenminister Juŕi Dienstbier gestand dagegen ein, daß er den einen oder anderen politischen Standpunkt durchaus aufgeben könne. Die Meinungsunterschiede zwichen den Flügeln hinsichtlich der schnellen Einführung der Marktwirtschaft seien ohnehin nie besonders groß gewesen. Als wichtigstes Ziel bezeichnete er den demokratischen Umbau des real-sozialistischen Systems. Erst an dieser Stelle würden wichtige Gegensätze deutlich. Klaus strebe eine „Partei neuen Typs“ an, in der Politik in erster Linie von bezahlten Managern gemacht werde. Die geforderte „exklusive Mitgliedschaft“ bedeute, daß sich die Anhänger des OF, die zugleich in anderen politischen Gruppierungen aktiv seien, an der Arbeit der neuen Organisation nicht mehr beteiligen könnten. Eine streng durchorganisierte Partei habe man aber in den letzten 40 Jahren zur Genüge kennengelernt. Nun gehe es darum, möglichst breiten Kreisen die Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen.

Der Wunsch, die Einheit des Bürgerforums zu erhalten, war jedoch deutlich auch von programmatischen Überlegungen beeinflußt. Eine Spaltung hätte den Verlust der Parlamentsmehrheit des OF nach sich gezogen. Da für den Umbau der Wirtschaft, der schon jetzt von der Bevölkerung hohe Opfer fordert, eine breite Basis für notwendig gehalten wird, wären Neuwahlen wohl unumgänglich gewesen. Das Bürgerforum, so ein auf seiner Anonymität bestehender führender Funktionär, wolle in die Geschichte nicht als eine Bewegung eingehen, die sich mit dem ursprünglichen Ziel der Stärkung der eigenen Organisation der Macht begeben hätte. Eine Spaltung der Partei vor den regulären Parlamentswahlen im Frühjahr 1992 wird jedoch nicht ausgeschlossen.