Schüsse gegen Litauens Freiheit

■ Rote Armee versucht mit brutaler Gewalt, die Kontrolle über die Republik Litauen zu erreichen/ Schewardnadse: Aktion leitet Militärputsch ein

Berlin (taz) — Mindestens 14 Tote und über 100 Verletzte forderte bisher der Einsatz der Roten Armee in Litauen. In einer dramatischen Aktion verteidigt sich die litauische Bervölkerung gegen die sowjetischen Truppen, die seit Freitag zu einer offenen Konfrontation übergegangen sind. Im Schatten der Golfkrise gehen sowjetische Truppen mit brutaler Gewalt in der Hauptstadt Vilnius vor: Das Parlament ist von Truppen umstellt, einhunderttausend Menschen versuchten bis gestern abend die Abgeordneten und die Regierung zu schützen. In der Nacht zum Sonntag hatten Rotarmisten nach letzten Informationen 14 Menschen erschossen und mit scharfen Schüssen Tausende von DemonstrantInnen von den Eingängen des Rundfunk- und Fernsehgebäudes vertrieben. Ein bis 15 Uhr ausgesprochenes Ultimatum, in dem das Parlament zur Selbstauflösung gezwungen werden sollte, war vorerst verstrichen.

Unrühmlich bleibt die Rolle Gorbatschows in dem Konflikt, nach unbestätigten Berichten des lettischen Rundfunks soll er den Militärs am Sonntag morgen um fünf Uhr die Rückkehr in die Kasernen befohlen haben. Dies ist aber nicht geschehen. Eduard Schewardnadse interpretierte die Militäraktion als Vorspiel zu einem Miltärputsch in der gesamten Sowjetunion. Auch in Estland und Lettland wird die Lage bedrohlich. Panzer rückten in das Stadtzentrum von Riga vor. In Riga wird für heute ein Angriff auf das lettische Parlament erwartet. Die estnische Führung rief die Bevölkerung zur Ruhe auf.

Scharfe Reaktionen löste die Militäraktion in Rußland, vor allem aber im Ausland aus. Boris Jelzin geht auf Konfrontationskurs. Bonn und Brüssel wandten sich direkt an Gorbatschow. John Major will die Unterstützung für die Sowjetunion überprüfen. Der amerikanisch-sowjetische Gipfel gerät in Gefahr. In Warschau, Berlin und Prag kam es zu Solidaritätsbekundungen für Litauen. SEITE 3