Grau, grau ist alles Anzugstuch

■ Der Vorstand der Bürgerschaft empfing zu Neujahr

Grau, grau. Graues Tuch. So ein Haufen, so viel davon habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Graues Tuch mit Nadelstreifen, graues Tuch in Fischgrät, vereinzelt Tweed, grau oder Gabardine, ebenfalls grau. Und alles nach Maß. Kaum zu glauben, so viele Maße. Jackett an Jackett, Maß an Maß, Hose an Hose, alles grau. Mann trägt nun mal dezent.

Weniger dezent sind die Gerüche. Schwerer Qualm aus Zigarre quillt schwadenweis aus Ecken. Verbreitet sich, dünner werdend, aber nicht zu überriechen. Ebenso der süße Duft aus der Pfeife. Oder das blumige Parfum, das die wenigen Damen im Raum umhüllt, um zu korrektem Distanzzonen-Verhalten aufzufordern, offenbar.

Man kennt sich, man grüßt sich. Man hat sich länger nicht gesehen. Ach wie schön, wie lange nicht. Man reicht sich die Hand, Münder verziehen sich, lächeln mit Anstrengung. Eine leichte Drehung des Körpers nur, und schon plumpst es herunter wie ein nasser Mehlsack.

Vor der großen gläsernen Fassade, die den Blick auf das Rathaus freigibt, liest ein Mann. Er liest nicht laut, doch eine Verstärkeranlage befördert seine Worte in ihre Umlaufbahn. Er spricht von der großen Welt, von der staatlichen Vereinigung und der in den Köpfen, von Krisenentwicklungen, Rüstungswettläufen und Entspannungsprozessen. Vom Völkerrecht, das es zu wahren gelte und von der Sicherung wichtiger Rohstoffe, von der neuen Streitkultur und von Rechten und Pflichten. Was soll er auch sagen, und von wollen ist die Rede nicht. Wie er sich sträubt, der Dr. Dieter Klink, Bürgerschaftspräsident, wie er den Kopf zwischen die vorgezogenen Schultern nimmt, wie er seine Worte nach unten murmelt, daß sie ihm doch nicht entfliehen mögen. All das nutzt nichts, das Mikro schafft sie an die Öffentlichkeit. Nur als er vom Miteinander von Politik und Wirtschaft, von Verwaltung und Wissenschaft spricht, vom Zusammenrücken, da wird er ein bißchen lebhaft, das sind Worte, die läßt er los.

Das Mikrophon wird abgeschaltet, man klatscht artig. Man schüttelt sich die Hände, man lächelt, man raucht Zigarre oder Pfeife, man trägt graue Maßanzüge über dem weißen Hemd mit der Krawatte. Man fragt: „Wie lang' woll'n wir denn hier noch rumsteh'n?“ step