„Was ist denn eigentlich eine Freiwilligenarmee?“

■ Der amerikanische Soldat Gerald W. Wood über seine Entscheidung, den Kriegsdienst zu verweigern DOKUMENTATION

Wenn jemand einen intensiven Blick auf die eigene Situation, sein Leben und seine Umwelt tut und dann zu dem Schluß kommt, daß eine früher gefällte Entscheidung einer Korrektur bedarf, muß er damit rechnen, daß ihm Sätze wie „Du wußtest doch, worauf du dich einläßt“ oder „Du hättest es besser wissen sollen“ oder gar „Ich hab's dir ja gesagt“ an den Kopf geworfen werden. Ich will ganz offen sein — ich bin 1983 in die Armee eingetreten und habe dadurch viele Vergünstigungen gehabt. Nun aber kann ich — nach jahrelangem Nachdenken und Reiferwerden — den weiteren Dienst in der Armee mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.

Meine Freunde, Familie, Kollegen und Vorgesetzten werden meine Entscheidung, die in ihren Augen eine Wende um 180 Grad darstellt, in Frage stellen. Deshalb will ich erklären, warum ich Pazifist bin und warum ich unsere Einmischung im Nahen Osten so bedenklich finde. Viele Freunde haben mich vor den persönlichen und beruflichen Folgen gewarnt, die diese Veröffentlichung haben kann. Aber ich glaube sicher, daß ich mir, wenn ich schweigen würde, selbst stärker schaden würde als alles, was die Gesellschaft mir antun kann. Kurz: Ich habe Angst, aber ich fürchte micht nicht davor zu sagen, was ich für richtig halte.

Natürlich höre ich immer wieder, daß ich mich doch freiwillig verpflichtet habe und deshalb kein moralisches Recht hätte, den Militärdienst zu verweigern. Das stimmt — niemand hat mich gezwungen, den Vertrag zu unterzeichnen. Es fragt sich jedoch, ob die persönliche Entwicklung mit achtzehn oder mit der Unterzeichnung eines Vertrages abgeschlossen ist. Offensichtlich ist das nicht der Fall. Wir werden reifer, wir lernen weiter, und wir werden einsichtiger. Mit der Zeit wurde mir immer klarer, wie unmoralisch es ist, Menschen darauf vorzubereiten, sich gegenseitig umzubringen. Gerade beim Militär wird man dafür sensibilisiert, was es bedeutet, zu töten oder getötet zu werden. Das ist natürlich die ernste Seite der Angelegenheit. Hin und wieder muß man sich, als eine Art Selbstschutz, über die Absurditäten des Armeelebens lustig machen. Erwachsene Männer zu beobachten, die sich zur Tarnung das Gesicht mit grüner Farbe bemalen und die sich Baumzweige und Ruten in ihren Hut stecken, um auf dem Waldboden rumzukrabbeln — das ist schon komisch und lächerlich.

Und ich glaube immer noch, daß die meisten Soldaten nicht aus freien Stücken beim Militär sind. Was genau ist denn eigentlich eine Freiwilligenarmee? Wir Amerikaner haben keine Wehrpflicht — ein Resultat des Vietnamkriegs. In den 70er Jahren gab es bei uns Probleme, Rekruten anzuwerben. Das hat sich in den 80er Jahren geändert, mit der ökonomischen Rezession, den Kürzungen staatlicher Sozialleistungen und der gleichzeitigen beispiellosen Aufrüstung unter Reagan. Keine Fachkenntnisse? Keine Ausbildung? Keine Arbeit? Werde Soldat! Keine Krankenversicherung? Keine Sozialversicherung? Werde Soldat! Kein Geld für eine Ausbildung? Werde Soldat! Die Sozialleistungen, die im zivilen Bereich gestrichen wurden, blieben für den militärischen Sektor erhalten. Ein Offizier meinte einmal ironisch, wir seien da, um die Ausbreitung des Sozialismus zu verhindern, „dabei sind wir selbst aber das weltweit beste Beispiel für den Sozialismus!“

Bei der Anwerbung werden unweigerlich die Sozialleistungen des Militärs betont. Nie habe ich jedoch gehört, daß ein Anwerber gesagt hätte: „Tue es für den amerikanischen Traum, tue es für die Demokratie.“ Es geht nicht um den Dienst für das Land, es geht um ein Einkommen und die Ernährung der Familie. Unsere „Freiwilligenarmee“ wird immer mehr zu einer Armee der Unterschicht. Elf Prozent der Amerikaner sind schwarz, Schwarze stellen jedoch über 30 Prozent des Militärs. Ist es einfacher für die — meist reichen — Politiker, die Kinder der Armen in den Kampf zu schicken? Ich bin nicht der erste, der das sagt. Respektierte Mitglieder des amerikanischen Abgeordnetenhauses wie Ernest Hollings aus South Carolina haben schon davor gewarnt, daß nur Amerikaner aus sozial ungesicherten Familien zum Militär kommen.

Es gibt Amerikaner, die glauben, daß die Lasten auf alle Schichten gleich verteilt werden müssen. Mein Hauptargument gegen den militärischen Konflikt ist, daß Kriege zu wirtschaftlichen Zwecken geführt werden. Dies ist der Fall in Irak. Wir kämpfen nicht für die Demokratie in Kuwait, die gab es dort nie. Wer davon spricht, daß kleine Länder nicht einfach annektiert werden dürfen, soll sich an Vietnam, Granada und Panama erinnern. Im Nahen Osten geht es um nichts anderes als um das Öl. Ich zittere bei dem Gedanken, daß dafür junge Amerikaner, Europäer und Araber sterben müssen. Und das Argument der Gefährlichkeit Saddam Husseins? Wer hat ihm denn die Waffen und die Massenvernichtungsmittel verkauft, die jetzt den Frieden bedrohen? Die Rüstungsindustrie wird schon wieder von diesem neuen Konflikt profitieren. Wir müssen uns mit dem Frieden beschäftigen. Wir brauchen ein „neues Denken“. Nicht nur in der UdSSR und Osteuropa, sondern auch in den USA und Westeuropa. Die Probleme der „Dritten Welt“ müssen gelöst werden, aber nicht durch Krieg. Und ich? Ich kann nicht in einer Organisation arbeiten, deren einziger Zweck der Krieg ist. Ich möchte dem Frieden dienen.