»Fließtext«-Koalition

■ CDU und SPD feilschen jetzt um die »Philosophie« KOMMENTAR

Um scheinbar Nebensächliches feilschen die Unterhändler von CDU und SPD bei den Koalitionsverhandlungen. Während die Welt zum Golf und nach Litauen starrt, haben die Berliner Politiker offenbar keine anderen Probleme als Tempo 100 auf der Avus und das Bleiberecht für ImmigrantInnen, das ohnehin weitgehend durch das neue Ausländergesetz geregelt wird. CDU und SPD verhandeln und verhandeln und haben ihr Versprechen, schnell eine »handlungsfähige Regierung« zu bilden, nicht gehalten. Dennoch ist es kein Zufall, daß es nun an genau den ideologisch aufgeladenen Stellen »hakt«, die die Parteien schon seit Monaten in der öffentlichen Diskussion lanciert haben. Es geht nicht nur um Spiegelgefechte, nein, es geht um der Deutschen liebstes Kind, das Auto, und um ihre angeblich größte Bedrohung, den »ausländischen Mitbürger«. Es geht darum, ob der Manta-Fahrer wieder ungehindert auf der Avus seine Potenzprobleme kompensieren oder ob der BMW-fahrende Jungunternehmer am Sonntag seinen Windsurfer an den Wannseestrand kutschieren darf. Und nicht zuletzt geht es um die »Überfremdung in der eigenen Stadt«, wie Landowsky es bezeichnete, und darum, ob man bei Aldi »unbehelligt« einkaufen kann.

Im engen Kreis der Spitzenpolitiker wäre in allen Punkten schnell Einigkeit zu erzielen. In die Länge gezogen wird die Sache jedesmal dann, wenn die schriftlichen Entwürfe in die »große Runde« oder gar in die einzelnen »Expertengruppen« gehen. Dann kommen die Bedenken, denn schließlich muß der Parteibasis erklärt werden, warum man sich auf butterweiche Kompromisse eingelassen hat, die in krassem Widerspruch zu Wahlkampfversprechen stehen. In den meisten Sachfragen ist man sich mittlerweile einig — jetzt geht es um die »Philosophie«, um den »Fließtext«. Während es der CDU am liebsten wäre, die schriftliche Koalitionsvereinbarung so unverbindlich wie möglich zu halten, fürchtet die SPD um ihr Profil und zeigt sich penibel. So bleibt nichts, als mit deutscher Gründlichkeit nach Kompromissen zu suchen. Die »Philosophie« bleibt davon unberührt. Kordula Doerfler