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„Saddam muß raus aus Kuwait — wo auch immer das liegt“

■ Am Vorabend des Ablaufs des UN-Ultimatums gab es in der US-Hauptstadt keine Großdemo mehr, nur noch Schweigen angesichts des kaum Faßbaren

Ist Amerika zum Krieg bereit?, so der Titel der ABC-Sondersendung am Vorabend des 15. Januars. Was folgt, ist das übliche mediale Vorkriegs-Potpourri mit Expertenanalysen aus dem Studio, Satellitenschaltungen aus den Krisen-Hauptstädten, Militärszenarien aus der Wüste und den Stories für die Tränendrüsen von der Heimatfront. Damit sich die Zuschauer daheim besser vorstellen können, wo der Krieg denn stattfinden soll, läuft „Anchorman“ Peter Jennings, der Hajo Friedrichs des US-Fernsehens, über eine auf dem Studiofußboden ausgebreitete Landkarte. Mit zwei großen Schritten ist er von der saudischen Hauptstadt an der irakischen Grenze. Bei der Erwähnung Kuwaits muß er sich etwas bücken, um mit der Linken die geplante Zangenbewegung der US- Marines zur Befreiung des Emirats zu illustrieren.

In der National Cathedral zu Washington haben sich über 5.000 Menschen zur Abendmesse versammelt. „Mehr als zu Weihnachten und Ostern“, berichtet ein gehetzter Fernsehreporter in seinem Beitrag fürs Lokalfernsehen. Mit Kerzen in den Händen macht sich die Menge nach dem Gebet zum Marsch auf das Weiße Haus auf. Keine verbrannten Sternenbanner wie in Chicago, kein Geschrei „Blut für Öl“ wie in Minneapolis, wo sich gut tausend Kriegsgegner vor dem Bundesgebäude versammelt hatten. Nur Schweigen über das kaum Faßbare.

In Mr. Egans Bar am Dupont Circle ist von all dem nichts zu spüren. Am Tresen hocken die Stammgäste, die zum Inventar gehören wie die verblichene Weihnachtsdekoration mit dem Puderzuckerguß. Les und Michael haben ganz andere Sorgen als den bevorstehenden Krieg. Sie starren auf das stumm dahinflimmernde Sportereignis und müssen miterleben, wie die Jungs von Wake Forest im College-Basketball nahezu unaufholbar gegen die Duke University zurückliegen. Nostalgisch erinnert Les seinen Kumpel an die Siegesserie seines Teams in der Saison 87. Beide gehören offenkundig zu jener Kategorie Männer, die sich schon deswegen gar nicht für Politik interessieren können, weil ihr Gehirn bis zum Rand mit Sportstatistiken gefüllt ist. Für die 278 Yards von Joe Montana von den San Francisco 49ers ist da noch Platz, nicht aber für die Komplexitäten des Nahostkonflikts. Aber: „Saddam muß raus aus Kuwait — wo auch immer das liegt.“

Draußen ziehen unterdessen die ersten Marschierer vorbei. Gleich um die Ecke, an der Kreuzung der 18. Straße mit der P-Street, hält der Zug kurz vor der irakischen Botschaft an. Es wird gesungen und gebetet. Auf Geheiß der Bush-Administration hat der Botschafter heute das vergitterte Backsteingebäude einer Rumpfbesetzung überlassen und ist nach Bagdad abgereist.

„Common Concerns“, der linke Buchladen, hat sein Schaufenster anläßlich des Geburtstages von Martin Luther King mit Literatur über die Bürgerrechtsbewegung gefüllt. 200 Meter weiter, vor dem Mayflower-Hotel, verkauft ein älterer Mann schon die 'Washington Post‘ von morgen, dem 15. Januar. „Es ist höchst bedauerlich, daß der Geburtstag von Martin Luther King, dem Champion der Gewaltlosigkeit, von der UNO als Anfangsdatum für eine Militäroffensive am Golf auserwählt worden ist“, schreibt Kings Witwe Coretta. Über ihrer Kolumne steht ein Plädoyer des früheren US-Botschafters in Ägypten für eine Verknüpfung der Kuwaitkrise mit dem arabisch-israelischen Konflikt. „,Linkage‘ heißt das Wort, das in allen Köpfen ist,“ so formulierte es in diesen Tagen Ex-Präsident Carter, der mit militärischen Aktionen in der Wüste so seine Erfahrungen hat, „außer in dem von George Bush.“

In der Kneipe „Fox and Hounds“ verlassen die letzten Studenten gerade die hölzernen Tische. Einige von ihnen werden morgen früh beim „Studenten-Aufruf“ vor der Metropolitan Church mit dabei sein. Der Rest dagegen wird wie üblich im Seminar über „Zivilrechtliche Probleme von Verleumdungsklagen“ sitzen. „Noch sind die meisten von uns apathisch“, sagt eine 19jährige Jurastudentin. „Aber das wird sich bald ändern, wenn die ersten Leichen hier ankommen.“ Falls dies überhaupt jemand mitbekommen wird; denn den Fernsehanstalten ist das Filmen bei der Ankunft der Särge auf dem Stützpunkt von Dover im Bundesstaat Delaware untersagt worden.

Die letzten Gäste schauen auf den Bildschirm, wo Talkshow-Gastgeber Arsenio Hall wohl seine 478. kurzberockte Hollywood-Schauspielerin nach den Trivialitäten des Showbusineß befragt. Doch selbst die Filmfabrik hat Probleme mit Saddam. „Nicht ohne meine Tochter“, die „wahre Geschichte“ einer US- Mutter, die ihren arabischen Ehemann und den Iran Khomeinis nicht ohne ihre Tochter verlassen will, hat zu Protesten der arabisch-amerikanischen Gemeinde geführt.

Später, zu Hause, ganz allein vor dem TV. Die Sendung Countdown to Confrontation von CBS belehrt uns, daß die Proteste der Demonstranten vor dem Weißen Haus nichts genutzt haben. Anschließend beginnt ABCs „Nightline“ die erste Stunde des letzten Tages vor der neuen Zeitrechnung mit einer Sondersendung. „Von morgen an“, so Regierungssprecher Fitzwater mit einem denkwürdigen Spruch, „leben wir von geborgter Zeit.“ Militärexperten zitieren Clausewitz mit seinen „Friktionen des Krieges“ und meinen das Sand im Getriebe der High-Tech- Waffen. Wenn alles „gut geht“, so ein Militärexperte, „sind wir schnell in Bagdad.“ Wenn die Dinge daneben gehen, könne der Weg in die irakische Hauptstadt allerdings Monate dauern. Fernbedienung — zapp: Auf Kanal 18 schießen sie schon — im Western „Blut für die Banditen“; zapp: Ein Commercial preist die telephonische „Liebesleitung“ an — „nur zwei Dollar pro Minute“; zapp: In Glenville, Georgia, haben sich Soldatenfrauen zu einer Selbsterfahrungsgruppe zusammengetan, um gemeinsam zu weinen; zapp: Auf Kanal 19 haben die amerikanischen Männer immer noch Haarprobleme — „Hairspirin, wir lassen ihr Selbstbewußtsein wachsen“, sagt die weibliche Stimme aus dem Off. Ein Mittel vielleicht auch für die Kongreßabgeordneten, die George Bush am Wochenende ihre Stimme für die Kriegserklärung gaben? Amerika, bist Du bereit für den Krieg? Rolf Paasch, Washington

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