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Milzbrand für den Frieden

■ In den Genforschungslabors wird weiter fleißig nach biologischen Kampfstoffen geforscht/ Eine WDR-Reportage heute in der ARD: „Gesucht wird... der unsichtbare Tod“, 20.15 Uhr

Jeden Tag stirbt ein Teil von ihm, doch zum Sterben reicht es nicht. Buddy Dinterman liegt auf seinem Krankenbett mit offenem, eingefallenem Mund, aus dem nur noch ein Röcheln zu hören ist. In seinen Händen hält der Sterbende ein kleines Stofftier, das er fest umklammert hält — Lebenszeichen eines Sterbenden. Seit über zwanzig Jahren dauert das Siechtum des Amerikaners. 1964 wurde er als Mitarbeiter am amerikanischen Forschungsprogramm für biologische Waffen bei einem Unfall mit hochgiftigen Eiterbakterien infiziert.

Die Militärs verloren an den Experimenten mit biologischen Waffen Mitte der sechziger Jahre das Interesse, da sie die eigenen Soldaten nicht vor der Infizierung durch die tödlichen Erreger schützen konnten. Inzwischen wird wieder an biologischen Kampfstoffen geforscht — weltweit. Schutzforschung nennt es die Bundeswehr, wenn sie in den Bau eines Forschungslabors in Münster 32 Millionen DM investiert. Die Forschung an biologischen Waffen ist nur zu defensiven Zwecken gestattet, lediglich die Entwicklung von Gegenmitteln — Impfstoffe, die vor einer Infizierung schützen — ist erlaubt. Doch der rein defensive Charakter dieser Forschungsprogramme ist umstritten. Bevor man ein Gegengift entwickeln kann, muß man den Erreger ermitteln und herstellen können. Kritiker der Forschung über Antibiotika gegen B-Waffen vermuten, daß unter dem Deckmantel der Schutzforschung die Einsatzfähigkeit von offensiven B-Waffen erprobt wird.

Die beiden WDR-Reporter Wolfgang Landgräber und Holger Vogt versuchen mit ihrem Beitrag nun den Nachweis zu erbringen, daß die Bundeswehr und die US-Armee über genügend Know-how verfügen, um die Erkenntnisse aus der defensiven Forschung zum Bau von biologischen Waffen zu nutzen. Dabei stießen die beiden Autoren auf eine ganz ungewohnte Schwierigkeit — die relative Offenheit der Militärs. In den Vereinigten Staaten und auf dem Bundeswehrgelände in Münster öffneten sich den Fernsehjournalisten die Türen zu den Forschungslabors. Die Dienststellen beteuerten Offenheit, denn für die völlig defensive Ausrichtung der Forschung sei ein Geheimnisschutz nicht erforderlich.

Daß sich dann plötzlich Ungereimtheiten ergeben, zum Beispiel neben den offiziellen Forschungen betriebene Untersuchungen und Akten, die dann doch nicht zur Einsicht freigegeben sind, lassen Zweifel aufkommen an der Seriösität der Armee-Angaben. Landgräber und Vogt entdecken in einem amerikanischen Labor eine deutsche Forscherin, die dort im Bundeswehrauftrag mit Milzbranderregern experimentiert. Es sollen Milzbranderreger gefunden werden, die gegen Antibiotika resistent sind. Wozu braucht die Bundeswehr solche Erreger, die sich nicht mit Gegenmitteln bekämpfen lassen? Sicher nicht, um vor Infektionen zu schützen.

Die Gefahren der militärischen Forschung liegen auch anderswo. B-Waffen sind — wie der Titel des Films unterstreicht — so gut wie unsichtbar. Nur unter dem Mikroskop lassen sich Bakterienkulturen nachweisen.

Die beiden WDR-Reporter dokumentieren die ganze Heimtücke sehr anschaulich, als sie an die Grenzen ihres Mediums stoßen. Überall im Militärlabor dürfen sie Aufnahmen machen, doch sehen können sie nichts. Sie dürfen Schubladen öffnen und Kühlschränke, doch der bloße Augenschein reicht eben nicht. In den winzigen Fläschchen und Reagenzgläsern können sich harmlose Substanzen befinden oder der Tod. Das macht die Suche so aussichtlos, und die neue Offenheit der Militärs so zynisch, denn die „B-Bombe“ könnte sich in der Aktentasche eines Laboranten befinden. Christof Boy

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