: Berliner Stimmen zum Krieg
■ Die taz befragte den Chef der jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, die jüdische Friedensaktivistin Alisa Fuss sowie einen palästinensischen Wissenschaftler zum Golfkrieg
Schon vor Kriegsausbruch telefonierte Alisa Fuss täglich mit ihren beiden in Israel lebenden Söhnen. Sie hatten Angst, daß die Vernunft verlieren wird, und haben recht behalten. Dennoch: »Es ist nie zu spät, aufzustehen und gegen den Krieg zu demonstrieren«, sagt die Mitbegründerin der Jüdischen Gruppe, Vizepräsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte und in der Friedensbewegung aktiv. »Die Amerikaner«, sagt sie vorwurfsvoll, »haben nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Sie wollten nie wirklich eine internationale Nahost-Konferenz. Für sie ist der Sieg über Hussein zu einer Prestigefrage geworden, und ihr Kriegsgewinn ist das Öl.«
Alisa Fuss ist weit davon entfernt, den »Henker« Hussein in Schutz nehmen zu wollen. Sie gehört zu den wenigen hundert Menschen in der Stadt, die vor drei Jahren mit Mahnwachen gegen die Ermordung der Kurden durch irakische Giftgaseinsätze protestierten. Damals, sagt sie, »habe ich keine Mitglieder der jüdischen Gemeinde aufschreien hören«. Keinen westdeutschen Politiker habe es interessiert, daß deutsche Firmen das Giftgas geliefert hätten. Alisa Fuss hat gegen die Besetzung Kuwaits demonstriert, aber »selbst dieser Überfall und das diktatorische Auftreten von Hussein rechtfertigt keinen Krieg der Amerikaner«. Vor drei Wochen hat sie mit Frauen einer israelischen Friedenskonferenz vor der US-Botschaft in Tel Aviv gestanden, und in der Nacht des Ultimatums wachte sie vor der Gedächtniskirche. »Alles, alles ist verloren, wenn jetzt die Bomben fallen«, sagt sie, denn: »Hätte die israelische Regierung mehr Flexibilität gezeigt und einer Nahost-Konferenz zugestimmt, dann wäre Hussein der Wind aus den Segeln genommen worden, und er hätte nicht im Namen der Palästinenser als Befreier auftreten können.« Die Okkupation der Westbank, der Golan-Höhen und des Gaza- Streifens sei die Ursache allen Übels, meint sie weiter. Solange sie andauere, werde sie immer als Vorwand für einen »Heiligen Krieg« herhalten müssen.
Angst vor einem Inferno hat auch der palästinensische Wissenschaftler A., der aus Furcht vor Repressionen seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. »Als Palästinenser fühle ich mich durch die Amerikaner gedemütigt.« Mehr will er über seine privaten Gefühle nicht sagen. So wie er argumentieren die meisten Palästinenser in Berlin: Die Amerikaner seien die eigentlichen Kriegstreiber. »Würden in Kuwait Bananen wachsen und nicht Öl fließen, würde kein einziger Soldat in Saudi-Arabien stehen.« Letztendlich würde es den Amerikanern ausschließlich um die Kontrolle über den Ölpreis und damit um die internationale wirtschaftliche Vormachtstellung gehen. Er ist überzeugt davon, daß den Strategen im Pentagon die Existenz Israels »scheißegal« ist und daß die Amerikaner die Sicherheit Israels genauso als Argument für ihre Politik benutzen wie Hussein das Elend der Palästinenser in den besetzten Gebieten. »Hussein bleibt gar nichts anderes übrig, als die PLO und die Intifada in den Vordergrund seiner Strategie zu rücken, um die Besetzung von Kuwait nachträglich zu rechtfertigen.«
Im übrigen hält er die Strategie Husseins für die Schuld der Israelis, der Amerikaner und ihrer europäischen Verbündeten, denn: »Wer hat denn schon dagegen protestiert, daß Israel sämtliche 465 UNO-Resolutionen gegen die Besetzung ignoriert hat?« Das Geschrei gegen den angeblichen »Irren aus Bagdad« ist für den promovierten Akademiker der Gipfel der »doppelten Moral«, denn: »Wer bitte schön hat denn den Irak militärisch aufgerüstet?« Obendrein sei die »scheinheilige Kampagne« gegen Hussein eurozentristisch: Wenn Hussein falle, warnt er, dann bekämen überall in der arabischen Welt die Fundamentalisten Oberwasser, und dann stünde allen das Schlimmste bevor: ein Kulturkampf der Araber gegen Europa und Amerika.
Ganz anders argumentiert Heinz Galinski, der gestern die ganze Nacht vor dem Fernseher verbrachte. »Bei der Beurteilung des Golfkrieges müsse sich der Protest gegen den einzig Schuldigen und Verantwortlichen, den irakischen Präsidenten Saddam Hussein, richten«, sagte er. »Es kann einem angst und bange werden«, meinte er zur taz, wenn man sehe, wie einseitig die Demonstrationen gegen Amerika ausgerichtet seien. »Das ist die falsche Adresse, denn der Aggressor sitzt nicht in Washington, sondern im Irak, und nicht Bagdad, sondern Tel Aviv mußte mit einem Giftgasangriff rechnen.« Als »beschämend und alarmierend« bezeichnete er es, daß es in Deutschland Menschen gebe, die in einer solchen Situation jüdische Einrichtungen bedrohen. In den letzten Tagen seien wiederholt jüdische Grabsteine mit »irakfreundlichen Sprüchen« beschmiert worden.
»Wir bangen um das Schicksal aller Menschen in der Region.« Galinski ist aber davon überzeugt, daß der Krieg ein kurzer bleiben und daß zu den Verlierern auch die PLO gehören werde. »Israel wird mit den Palästinensern zu einer Verhandlungslösung kommen«, meint er, vorausgesetzt, die Gemäßigten würden sich durchsetzen. Anita Kugler
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