: Für die CDU ist der Angriff auf den Irak ein voller Erfolg
Bundestagsdebatte über den Golfkrieg drängt die Kanzler-Wiederwahl in den Hintergrund/ SPD in Sorge um Stimmungsumschwung in der Bevölkerung ■ Von unseren KorrespondentInnen
Als es spannend wurde, hörte Helmut Kohl auf. Alles wolle die Bundesregierung tun, keine Anstrengung werde sie scheuen, um den Frieden am Golf mit wiederherzustellen. Dies rief der Kanzler gestern am Ende seiner Regierungserklärung den Abgeordneten zu. Was „alles“ ist und an welche Anstrengungen er denkt, sagte Kohl nicht. Die Bonner Regierung setzt sich also vorerst nicht ausdrücklich für einen Waffenstillstand zwischen dem Irak und den UNO-Truppen ein. Wie schon in seiner Regierungserklärung vom Montag machte Kohl auch gestern allein Iraks Staatspräsidenten Saddam Hussein für alles verantwortlich, was nun weiter am Persischen Golf geschehen wird. Auf das Wirtschaftsembargo ging der CDU- Kanzler nicht mehr ein. Ganz allgemein redete Helmut Kohl von „zielstrebigen Bemühungen“, die „bald erforderlich“ seien, um zu friedlichen Lösungen im Nahen Osten zu kommen.
Die Perspektive einer internationalen Nahost-Konferenz deutete Kohl nur vage an. Diese sei jedoch erst möglich, wenn man alle „politischen Lösungen“ erreicht habe. Vorsichtig deutete er eine mögliche Beteiligung deutscher Soldaten im Rahmen der Nato-Eingreiftruppe von der Türkei aus an. Zwar sagte er: „Deutsche Soldaten werden am Golf nicht eingesetzt“, betonte jedoch gleichzeitig, man dürfe nicht vergessen, daß die französischen, britischen und amerikanischen Verbündeten die Hauptlast trügen.
Anders als Kohl appellierte SPD- Chef Jochen Vogel im Namen seiner Fraktion an „alle Beteiligten“, die Kriegshandlungen sofort einzustellen. Daß ein Teil der SPD-Fraktion sich in den vergangenen Tagen sehr kritisch mit der Rolle des UN-Sicherheitsrates auseinandergesetzt hatte, fand in der Rede Vogels keinen Niederschlag. Ausdrücklich verlangte Vogel „für den Weg zu einer stabilen Friedensordnung in der Region“ nach einer Nahostkonferenz, die eine ähnliche Rolle erhalten solle wie die KSZE. Immer wieder forderte er, Waffenexporte in Krisenregionen viel stärker als bisher zu verfolgen und zu bestrafen.
Für den Fall, daß die Nato und damit die Deutschen von der Türkei aus in den Krieg gezogen werden, mahnte er Mitsprache an: Die Entscheidung über Krieg und Frieden sei nicht allein Sache der Regierung. Darum müsse schon über die Frage, ob ein Bündnisfall vorliege, der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit entscheiden.
Daß die Regierungslkoalition sich jeder anderen Sicht der Dinge als der ihren verschließt, wurde gestern besonders deutlich, als der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi ans Rednerpult trat. Immer wieder unterbrachen Unionsabgeordnete ihn mit lauten Zwischenrufen. Gysi warf dem Bundeskanzler „Heuchelei“ vor. Bei der Invasion in den Irak ginge es nicht um Völkerrecht, sondern um Machtpolitik. Es sei ein Krieg gegen die Dritte Welt, der deren Ausbeutung durch die erste sicherstellen solle.
Nicht viel leichter hatte es Vera Wollenberger vom Bündnis 90: Als sie die Abgeordneten aufforderte, in einer Schweigeminute über die schrecklichen Folgen eines möglichen Krieges nachzudenken, lachten einige Unionsabgeordnete laut — und unterhielten sich weiter. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth verstand den Appell nicht einmal: Sie forderte die schweigende Abgeordnete wiederholt auf, endlich weiterzusprechen. ff
Kanzlerwahl als nüchterner Akt
Vor der Debatte über den Golfkrieg hatte der Bundestag den Akt der Kanzlerwahl nüchtern und zügig über die Bühne gebracht. Vielen Abgeordneten war die innere Bewegung über den Kriegsbeginn anzumerken; manche weinten, wie die SPD-Abgeordneten Heidemarie Wieczorek- Zeul. Allerdings hörte man von den Unionsbänken auch Befriedigung über die „exakten Schläge“ der alliierten Truppen. Aus Protest blieb die PDS der Vereidigung fern, weil der Kanzler entgegen seiner Eidesformel, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, nicht alles tue, Deutschland aus dem Krieg herauszuhalten.
Bereits am Vormittag wurde in den Reihen der Union ein Waffenstillstand, sehr zurückhaltend bewertet, den der SPD-Vorsitzende Vogel gefordert hatte, um dem Irak erneut Gelegenheit zum einlenken zu geben. Als besonderer Hardliner tat sich dabei der frühere Kriegsgegner und letzte DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann hervor. Der jetzige CDU-Abgeordnete nannte die Bemühungen nach einem Waffenstillstand sogar „geistige Onanie“ — schließlich habe Saddam Hussein jede Chance zum Rückzug zurückgewiesen. Der CDU-Abrüstungsexperte Lamers, zog aus der Tatsache, daß die Amerikaner nicht mit der „Feuerwalze“, sondern sehr gezielt angegriffen hätten, den Schluß, daß „Krieg führbar“ sei. Lamers trat aber anders als die Mehrheit seiner Fraktion für einen Waffenstillstand ein.
Eine eigenständige Friedensinitiative der Bundesrepublik findet bei den Unions-Abgeordneten wenig Anklang. Der ehemalige Verteidigungsminister Scholz (CDU) hält erneute Friedensbemühungen nur im Rahmen der UNO für sinnvoll. Scholz schloß aus, daß die Bundesregierung den „Spannungsfall“ für die Bundesrepublik erklärt, wie es im „wartime host nation support“-Abkommen mit der Nato definiert ist. In diesem Falle wäre die Bundesrepublik zu umfangreichen Hilfs- und Unterstützungsleistungen verpflichtet. Dazu könne es nur kommen, wenn der Nato-Partner Türkei angegriffen werde. Damit rechnet Scholz nicht.
Auch der CDU-Generalsekretär Rühe schloß die Definition eines Spannungsfalles aus. Gleiches gelte für die Entsendung der bundesdeutschen Heereseinheiten der mobilen Eingreiftruppe der Nato in die Türkei. Der CDU-Verteidigungsexperte Wilz bestätigte, daß bei der Sondersitzung der Nato in der vergangenen Nacht diese Frage nicht angeschnitten wurde und auch keine entsprechende Bitte der Türkei vorliege. Die Bundesregierung, so machte Wilz deutlich, stünde dem auch ablehnend gegenüber. Bekannt wurde unterdessen, daß Bundeskanzler Kohl dem SPD-Vorsitzenden Vogel zugesichert habe, daß bei eintreten des Bündnisfalls das Parlament an der Entscheidung beteiligt werde.
Auch in den Reihen der SPD glaubt man nicht, daß nach der deutlichen Schwächung des Iraks nun ein Angriff auf den Nato-Partner Türkei erfolgen wird. Der SPD-Abgeordnete Erler äußerte aber die Sorge, daß unter dem Eindruck des gezielten und schnellen Angriffs die Stimmung in der bundesdeutschen Bevölkerung umschlagen könnte, die bisher mehrheitlich einen Krieg abgelehnt hat: „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg“. gn
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