: Offener Brief an den Privatsender RTL pls, betr.: die Sendung "Explosiv" vom 15.1.91
an den Privatsender RTL plus, betr. die Sendung „Explosiv“ vom 15.1.91
Sehr geehrte Damen und Herren, schon bei der Anrede habe ich Schwierigkeiten, da die Art und Weise, in der Sie in Ihrer „Explosiv“-Sendung vom 15.1.91 über die Golfkrise berichteten, Ihnen keinesfalls zur Ehre gereicht, sie vielmehr aufs schärfste verurteilt werden muß.
Da wird auf dem Bildschirm permanent der Countdown für das Ablaufen des Ultimatums eingeblendet, als wenn es sich hierbei nicht um die traurige Gefahr eines Weltkrieges handelte, sondern um den spannenden Start einer amerikanischen Raumfähre. Da wird das Intro zu den einzelnen Berichten mit Actionmusik untermalt, als wenn es sich um ein Intro zu einem neuen James-Bond- Film handelte. Da wird über HERO berichtet und hohe Aktualität mit Berichten und Interviews suggeriert, die bereits vor längerer Zeit on TV zu sehen waren. Doch was dem Faß den Boden ausschlägt: Da wird ein vermeintlicher Experte über die Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in der BRD interviewt, und dieser berichtet ohne Skrupel und Umschweife über Abu-Nidal-Terroristen, die vermutlich seit Jahren als „schlafende Agenten“ in der BRD leben und nur darauf warteten, „aktiviert“ zu werden, um mit Gas-, aber wahrscheinlich eher, weil effizienter, Bombenanschlägen Angst und Panik in der Bevölkerung zu stiften.
Mal ganz abgesehen davon, daß eine derartige, vermeintlich aufklärerische Berichterstattung kaum geeignet ist, die latenten Ängste in allen Bevölkerungsschichten zu schmälern, frage ich Sie: Wie würden Sie selbst nach einem solchen Bericht einem der zahlreichen in der BRD lebenden Ausländer begegnen, von dem Sie zwar nicht wissen, aus welchem Ursprungsland er genau kommt, den Sie aber aufgrund seines Aussehens der Nahost-Region zuordnen? Unsere Ausländer haben doch auch ohne den Golfkrieg schon einen ziemlich schweren Stand in dieser unserer Republik, was Sie zu Recht oft genug thematisiert haben. Muß denn da wirklich jetzt ein Journalismus à la 'Bild‘ betrieben werden, der dem Sensationsgehalt einer Meldung und den niederen Instinkten der Zuschauer eine höhere Bedeutung zumißt als dem Verzicht auf die Meldung aus Respekt vor dem grundlegenden Ziel der Realisierung einer menschenwürdigen Gesellschaft, in der sich jedes Individuum sicher fühlt und frei entfalten kann? Wo bleibt Ihr journalistisches Verantwortungsbewußtsein?
Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als wenn der Begriff Verantwortung für Sie ein Fremdwort ist. Leider gibt es kein Mittel, Sie für diese Art von Berichterstattung öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen. Sie sollten sich zumindest aber öffentlich dafür entschuldigen. Jürgen Reckfort, Münster
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