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„Saddams Kriegsgene und feige Irakis“

Stimmen von der „Heimatfront“/ In einer täglichen Rubrik schauen die taz-KorrespondentInnen auf die Medienreaktionen in den kriegführenden Staaten  ■ Von Rolf Paasch

New York (am 5. Kriegstag) — Mein letzter Fernsehblick vor dem Verlassen Washingtons fiel auf das aufgedunsene und zerschnittene Gesicht eines US-Piloten in irakischer Gefangenschaft: Navy Lieutenant Jeffrey N. Zaun, 28, aus Cherry Hill, New Jersey, dessen A6-Aufklärungsflugzeug nicht mehr auf die USS „Saratoga“ zurückkehrte. Dann wird der Krieg auf der vierstündigen Autofahrt nach New York zum reinen Hörerlebnis. Radio Pacifica, die links-unabhängige Radiostation, die noch bis hinter Baltimore zu hören ist, hat einen „Friedensalarm“ ausgelöst. Mit World Music und einer Predigt Martin Luther Kings wird hier an dessen Gedenktag gegen den Krieg angespielt. „Die müssen uns Amerikaner damals für eine seltsame Art von Befreiern gehalten haben“, erklärte der Bürgerrechtler seiner schwarzen Gemeinde in der Ebenezer Kirche von Atlanta. Damals, 1967, meinte er allerdings noch die Vietnamesen und nicht die Araber. King, dem Teile der Nation nur widerwillig einen ihrer Feiertage widmeten, beschwörte damals auch schon die Macht wirtschaftlicher Sanktionen: einen Konsumentenboykott der US- Negroes zur Durchsetzung ihrer Gleichberechtigung.

23 Jahre später wählen Amerikas Schwarze — besonders die aus den Innenstädten — in überproportionaler Zahl eine Karriere in den Streitkräften; aus Mangel an wirtschaftlichen und professionellen Alternativen. „Aiming High“, so suggeriert das Commercial auf dem benachbarten Privatsender. Die US-Luftwaffe fordert die Jugend — ob schwarz oder weiß — dazu auf, ihre „hochgesteckten Ziele“ ausgerechnet in der Pilotenkanzel zu suchen, aus der Oberst Zaun gerade in die Hände des Feindes geschleudert worden ist.

Hinter Philadelphia fahren wir in den Einzugsbereich von UKW „Hundred One Point Five, New Jersey“, dem Heimatsender des abgestürzten US-Piloten. Die Eltern, so hören wir, sind froh, daß der Totgeglaubte in der Propagandaabteilung des irakischen Fernsehens wieder auferstanden ist. „Ich würde gerne Mutti, Vati und meiner Schwester sagen, daß es mir gut geht und daß sie für den Frieden beten sollen“, kommt seine tonlose und stockende Stimme über den Äther.

Seine Pilotenkollegen sind mittlerweile 8.100 Attacken geflogen, und die beiden Studiomoderatoren reagieren auf die Erniedrigung des US-Piloten mit schrillem Kriegsgeheul: „Es ist mir scheißegal, wie viele Iraker in diesem Krieg draufgehen!“ sagt der eine. „Wenn die nicht den Mumm haben, sich gegen Saddam zu erheben“, pflichtet ihm der andere bei.

Anrufer von draußen heizen die Stimmung im Studio noch an. Frage: „Ist Saddam der uneheliche Sohn Hitlers?“ Antwort: „Nein, aber eine illegitimer Enkel Stalins“, dessen „Kriegsgene“ er geerbt habe. Dann geht es in dem gemischten Programm Schlag auf Schlag. Zwischen den Küchenrezepten landet eine weitere verirrte Scud-Rakete im Persischen Golf. Nach einem weiteren Superdeal des lokalen Autohändlers erklärt Präsident Bush den Mittleren Osten zur „Kampfzone“ — und entläßt damit seine dort stationierten Truppen aus der Steuerpflicht. Nach einer Sammelaktion für die Truppen („damit die auch vernünftige Zahnpasta haben“) verurteilt Senator Ben Bradley aus New Jersey, der Repräsentant von Jeffrey Zaun im Kongreß, Saddams makabre Präsentation von POWs (Prisoner of War) und MIAs (Missing in Action).

Mit diesen Abkürzungen für die Menschenopfer des Krieges ist Vietnam plötzlich wieder ganz nahe. Ein Vietnam-Veteran ruft im Studio an und erzählt von der Wiederbelebung seiner Poststreß-Traumata seit Kriegsbeginn. Die ihm folgende Nachrichtensprecherin berichtet vom gestiegenen Verkauf an amerikanischen Flaggen.

An der Einfahrt zum Holland Tunnel hinüber nach Manhattan steht an diesem kältesten Tag des Jahres ein Verkäufer, den Arm voller Sternenbanner. „The Flag“, drei Dollar. „Unterstützt unsere Truppen“, ruft er mir hinterher.

Erst als der Wagen unter den Hudson River eintaucht, wird es mit einem Male ganz still. Drei Minuten Fahrt durch den Tunnel. Zeit zum Nachdenken über den Umgang mit Lieutenant Jeffrey Zaun aus Cherry Hill, New Jersey.

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