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Staatsbürgerliche Pflichten britischer Journalisten

Die britischen Frontberichterstatter unterliegen starken Beschränkungen/ Die Zensur stößt kaum auf Widerstand  ■ Von Ralf Sotscheck

„Es ist die Aufgabe eines Journalisten, während Kriegszeiten Dinge zu beschönigen, weil man die nationalen Interessen der Nation beachten sollte, von der man Teil ist.“ Max Hastings, während des Malwinenkrieges selbst Frontberichterstatter und heute Chefredakteur des 'Daily Telegraph‘, hält Selbstzensur für seine staatsbürgerliche Pflicht. Für weniger einsichtige JournalistInnen hat das Londoner Verteidigungsministerium umfangreiche Beschränkungen bei der Berichterstattung über den Golfkrieg eingeführt. Sämtliche Fotos und Korrespondentenberichte müssen Presseoffizieren der britischen Armee zur Freigabe vorgelegt werden. Es gibt 14 Kategorien von Informationen, die geheimzuhalten sind, um „die Sicherheit der betreffenden Truppe zu garantieren“. Darunter fallen Einzelheiten über Waffen, Anzahl der Soldaten, Flugzeuge und Panzer, Sicherheitsvorkehrungen, geplante Operationen, militärische Einrichtungen usw.

Zugang zur Front hat ohnehin nur eine begrenzte Anzahl JournalistInnen. In den vier „Media Response Teams“, die unter Aufsicht der Armee stehen, ist Platz für jeweils vier Presse- und drei Fernsehberichterstatter. Über die Zensur vor Ort hinaus hat sich das britische Verteidigungsministerium das Recht vorbehalten, die Redakteure in der Heimat zu „beraten“. Die offizielle Begründung: „Öffentlich geäußerte Spekulationen über geplante Operationen, insbesondere wenn sie den Eindruck erwecken, auf autorisierten Informationen zu beruhen, könnten einen tatsächlichen oder potentiellen Feind veranlassen, Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, auf die er sonst vielleicht nicht gekommen wäre.“

Bei den britischen Medien stoßen die Beschränkungen meist auf Verständnis. Nigel Hancock vom unabhängigen Fernsehsender ITN meint dazu: „Falls wegen unserer Bilder Meinungsverschiedenheiten mit dem Verteidigungsministerium auftauchen, so werden wir darüber diskutieren. Wir sehen das nicht als Zensur.“ Und wer es doch als Zensur sieht, traut sich nicht, das öffentlich zu sagen.

John Wilson von der BBC hat für die Konformität der Kriegsberichte folgende Erklärung: „Falls Berichterstatter etwas tun, das dem Militär äußerst mißfällt, dann können sie die betreffende Person einfach entfernen. Wir müssen akzeptieren, daß das Militär, das im Besitz der Informationen ist, in solchen Zeiten enorme Macht hat.“ Diese Macht ist Garant dafür, daß sich viele Journalisten von vornherein selbst zensieren. „Ich lebe von meinen guten Beziehungen zum Verteidigungs- und Außenministerium“, sagte einer von ihnen. „Das kann ich nicht aufs Spiel setzen.“ So klingen die Berichte in Presse und Fernsehen fast ausnahmslos wie Reportagen von einer Sportveranstaltung.

Lediglich John Simpson und der langjährige Nahost-Korrespondent der 'Times‘, Robert Fisk, berichteten kritisch. Während am vergangenen Freitag überall der Blitzkrieg behjubelt wurde, warnte Fisk: „Wir schlingern auf eine Katastrophe zu.“ Der 'Guardian‘ zitierte einen „bekannten Fernsehreporter“, der es jedoch vorzog, anonym zu bleiben: „Es ist ein bißchen viel verlangt, wenn man Dinge weiß, die man nich sagen darf: Zum Beispiel, daß viele unserer Jungs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versehentlich durch Kugeln unserer Verbündeten ums Leben kommen werden.“

Zur unkritischen Berichterstattung kommt hinzu, daß auch im britischen Unterhaus keine Debatte stattfindet. Einzig der linke Labour-Flügel um Tony Benn und Tam Dalyell kritisierte die Entscheidung für den Krieg. Beide wurden dafür in verschiedenen Zeitungen als „Feiglinge“ oder „Exzentriker mit einer Gier nach Publizität“ denunziert. Benn sagte am Tag des Kriegsausbruchs: „Das erste Opfer in jedem Krieg ist immer die Wahrheit. Von jetzt ab werden wir nur noch mit Lügen gefüttert.“ Die Labour-Führung beeilte sich dagegen, bei jeder Gelegenheit ihre Unterstützung für die Regierungspolitik zu versichern. Stewart Purvis, Redakteur beim unabhängigen Fernsehen ITN, sagte: „Die Rolle der Oppositionsparteien im Parlamen ist wichtig für unsere Berichterstattung. Labour ist mit der Regierungspolitik gleichgeschaltet, so daß der Grad der Debatte im Fernsehen dem Grad der Debatte im Parlament entspricht.“

Doch nur mit dem Mangel an parlamentarischer Opposition und der Angst, vom Informationsfluß gänzlich ausgeschlossen zu werden, läßt sich die unkritische Berichterstattung nicht erklären. Fernsehen, Rundfunk und Presse — und darin sind auch die „seriösen Zeitungen“ eingeschlossen — hatten die Kriegstrommeln bereits seit Wochen gerührt. In der 'Times‘ hieß es, ein Krieg sei notwendig, um „die Werte der Zivilisation zu schützen“.

Einer der wenigen Journalisten mit abweichender Meinung, John Pilger, stellte im 'Guardian‘ fest: „Daß es zum ,nationalen Interesse‘ gehört, in den Krieg zu ziehen, wenn die Nation auf keinste Weise bedroht ist, wird in diesen Tagen kaum erwähnt.“ Bereits eine Woche vor Kriegsbeginn kritisierte er die Medien scharf: „Falls ein Krieg im Golf ausbrechen sollte, tragen die britischen Medien — die im Gegensatz zu den irakischen angeblich ,frei‘ sind — die Verantwortung für das ,patriotische' und sträfliche Schweigen, das dafür gesorgt hat, daß die Menschen nicht Bescheid wissen und nicht Bescheid wissen können.“

Nik Gowing vom Fernsehsender Channel4 sagte: „Ich bin schockiert, wie wenig die Menschen darüber wissen, daß dieser Krieg zum Alptraum werden kann.“

Nach Ansicht Pilgers ist die Berichterstattung vom Golfkrieg lediglich das letzte Beispiel dafür, daß Journalisten in ihrer Rolle als „Kontrollinstanz im öffentlichen Interesse“ seit einigen Jahren verhängnisvollerweise ausgespielt haben.

„Das ist zum großen Teil das Ergebnis der ,Kommunikationsrevolution‘, die keine informierte Gesellschaft, sondern eine Medien-Gesellschaft hervorgebracht hat, in der eine Unmenge wiederkehrender Information auf ein enges Spektrum ,denkbarer Gedanken‘ begrenzt ist, und dem Vokabular des Staates und den Manipulationen bestimmter Interessengruppen immer größerer Vorrang vor freiem Journalismus gegeben werden.“

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