piwik no script img

Zeitschriften: Spektrum der Wissenschaft/Bild der Wissenschaft/New Scientist/Übermorgen

W E R N E R P I E P E R In den vergangenen Jahren und Monaten haben fast alle Tageszeitungen eine Wissenschaftsseite eingeführt. Das Interesse an (Natur-) Wissenschaften liegt eindeutig im Aufwärtstrend. Schade nur, daß es mit der adäquaten Wissensvermittlung noch hapert, denn es gibt nicht viele SchreiberInnen, die fachkundig sind und gleichzeitig gut schreiben können.

Ein Beispiel für dieses Dilemma ist das Flaggschiff deutscher Wissenschaftszeitschriften, 'bild der wissenschaft‘. Gegründet vom seligen Prof. Heinz Haber, bot es bis vor ein paar Jahren auch Robert Jungk Platz für Kolumnen. Inzwischen ist es in der Gestaltung zeitgemäß aufgerüstet worden, es wir durchgehend farbig gedruckt, und man wundert sich, daß es so langweilig geblieben ist. Der Bezug zum täglichen Leben fehlt, das Heft lädt beim Durchblättern kaum zum Lesen ein.

Der Kiffer-Test fürs Haar

Dabei lassen sich doch immer wieder interessante Meldungen finden. In der Januarausgabe finden sich wunderschöne Bilder vom „Labyrinth in der Wüste“, den einzigartigen geologischen Gebilden der Spalten-Canyons der Colorado-Hochebene. Den Navajos als ehemaligen Bewohnern Colorados waren diese geheimnisvollen Spalten heilig. Sie glaubten, daß in den Tiefen die Chindis, die Geister ihrer Verstorbenen, ihre letzte Heimat gefunden hätten. Krimischreiber Tony Hillermann hat diese Umgebung wiederholt sehr effektiv in seine Geschichten eingebaut. Die Spalten sind an der Erdoberfläche oft sehr schmal, in bis zu 100 m Tiefe oft breit, manchmal auch mit Wasserläufen durchdrungen. Was an der Oberfläche wie ein banaler Riß in der Landschaft aussieht, erweist sich als Tor zu unterirdischen Katakomben, die faszinierende natürliche Kunstwerke bergen. Die den Text begleitenden Fotos geben einen guten Einblick in diese wunderliche Welt. Hätte man eher in „Geo“ erwartet.

Des weiteren läßt sich nachlesen, warum sich die Evolution nicht wiederholen wird; Schöpfungsmythen der Menschheit werden untersucht; vom Beweis der Wirksamkeit der Antibaby-Spritze für den Mann wird berichtet, und Strömungswissenschaftler zeigen auf, wie und warum Seitenwinde für die neuen schnellen Züge zum Verhängnis werden können. Als Zugabe noch der Tip für langhaarige Drogenuser: In Japan werden die bislang gängigen Urintests bei Verdacht auf Drogenmißbrauch abgeschafft und durch Haaruntersuchungen ersetzt. Im Haar läßt sich auch nach Monaten noch feststellen, ob du gekifft hast, im Urin nur maximal sieben Tage.

'bild der wissenschaft‘ gibt es ebenso an besser bestückten Zeitschriftenkiosken wie die deutsche Version des legendären „Scientific American“, das „Spektrum der Wissenschat“. Es lohnt sich immer, am Kiosk das Inhaltsverzeichnis dieses Blattes durchzuschauen, und wenn einen eine Geschichte, ein Thema brennend interessiert (und man schon entsprechende Vorkenntnisse mitbringt), sollte man das Heft kaufen. Aber auch nur dann. Es sei denn, man ist Akademiker und wühlt sich gerne durch Fachartikel in einer oft ätzend langweiligen Sprache. Gut am „Spektrum“ sind auch die Grafiken, klar, übersichtlich und in Farbe, die Zusammenhänge oft leichter vermitteln als die Begleittexte. In dem mir vorliegenden Heft geht es zum Beispiel über die Gefährlichkeit des Feuersalamanders, der am Rücken eine wahre Giftspritze mit sich trägt, die bis zu zwei Meter weit ein Nervengift verspritzen kann, das auch beim Menschen zu temporärer Blindheit führte. Neben dieser Kurzmeldung (inkl. Foto vom spritzenden Salamander) erregen zwei längere Beiträge mein Interesse.

Die Kommunikation per Farbe und Perle

Im ersten geht es um eine eigenartige Kommunikationsform aus Afrika: Der bunte Perlenschmuck der Zulu war einst auch ein subtiles briefliches Kommunikationsmittel mit einem komplizierten, sich wandelnden Farbcode — bis zur Einbeziehung der Schrift, die zugleich den Niedergang der Farbsprache besiegelte. Auch bei uns spielten Farben in der Kommunikation (außerhalb der Werbung, wo diese Signale selbstredend noch eingesetzt werden) eine große Rolle: damals im Mittelalter. In jener Zeit der Minnesänger gab es auch hier eine weit verbreitete und verstandene Farbsymbolik mit ausgeprägtem Mitteilungscharakter. Sie wurde damals bei uns wie heute bei den Zulu von der Schrift verdrängt. Die Farbentschlüsselung jener bunten Perlenketten der Zulu ist in der Tat faszinierend. Auch Männer tragen bis zu 15 kg Perlenschmuck — vor der Heirat, denn das Schmucktragen kulminiert in der Zeit der intensivsten emotionalen Zuwendung zum anderen Geschlecht und ist herkömmlicherweise eng mit Partnersuche, Liebe und Heirat verknüpft. Heute wird die schillernde Farbigkeit der Perlenketten durch Perlentexte ersetzt, die aber unter der mangelnden Rechtschreibung der Perlenknüpfer leiden. Der zweite spannende Beitrag handelt vom Feuerwerk, dem Werk der Pyromanen. In den von Donnerschlägen akzentuierten Farborgien eines pyrotechnischen Schauspieles zeigt sich die Chemie von ihrer prächtigsten und packendsten Seite. Vom Streichholz über Leuchtkugeln bis hin zu Feststoffraketen reicht das Anwendungsspektrum der Wissenschaft vom Feuer. Erstaunlich dabei, daß der Grundstoff, das Schwarzpulver, seit seiner Erfindung vor über 1.000 Jahren durch die Chinesen derselbe geblieben ist. Die farbigen Effekte wurden jedoch erst im vergangenen Jahrhundert erfunden. Das Streichholz ist das wohl bekannteste pyrotechnische Produkt. Alle typisch pyrotechnischen Effekte — Wärme, Licht, Rauch, Gas und Geräusch — treten dabei auf. Es ist nicht leicht, an pyrotechnisches Wissen heranzukommen: Die zivile pyrotechnische Industrie wird meist von Familienunternehmen unterhalten, und der geheime Charakter der militärischen Forschung macht es schwierig, eine akademische Ausbildung auf diesem Gebiet zu erhalten.

Endlich: Männer in 3D doch besser...

Nicht am Kiosk, sondern nur im Abo erhältlich ist die 'Naturwissenschaftliche Rundschau‘ (mit der eingehefteten Beilage 'Biologie Heute‘, Hrsg. vom Verband Deutscher Biologen). Eine Zeitschrift von/für Profis, schwarz/weiß im Druck, das kostenlos nutzbare Probe-Abo für drei Monate (c/o Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Postfach 10 53 39, 7000 Stuttgart 10). Sind die langen Beiträge aus der deutschen Wissenschaft auch oft etwas dröge, finden sich doch bei den Kurzmeldungen immer wieder erfreuliche Infohappen. Beispiele für lange Beiträge: „25 Jahre Deutsches Krebsforschungszentrum“, „Geowissenschaftliche Spitzbergen-Expedition 1990“, „Gentechnisch veränderte Organismen im Freiland“. Immerhin geben kurze Zusammenfassungen am Ende jener Beiträge auch jenen Lesern, die sich nicht durch die Bleiwüsten gekämpft haben, einen Hauch von Verständnis der behandelten Materie. Zu den Kurznachrichten: Kaffeetrinker über 60 Jahre sind sexuell doppelt so aktive Menschen wie jene, die keinen Kaffee trinken. Trichotillomanie nennt man die krankhafte Sucht, sich Haare auszureißen; nun hat man ein Mittel dagegen gefunden. Teigwaren aus mit radioaktivem Cäsium kontaminierten Getreiden können durch Kochen in stark gesalzenem Wasser entseucht werden; zu 93 bis 96 Prozent. Bislang wurde vermutet, daß männliche Tiere (inkl. Menschen) über ein besseres räumliches Denken verfügen als weibliche; bei Mäusen wurde dies nun bewiesen [von Männern, haha — d. K.]. Dazu gibt es auch noch Tips für Fernreisende zum Problem „Jet Lag“: Nahm man bislang an, daß verstärkte soziale Kontakte die Einregulierung des Körpermechanismus auf andere Zeitzonen fördern, so weiß man nun, daß helles Licht der Hauptfaktor der Regulierung ist. Wenn man eine Reise antritt, deren Ziel eine mehrere Stunden frühere Zeit aufweist, sollte man zwei Tage früher hinfliegen und sich dort viel im Sonnenlicht aufhalten. Der erste Tag im Sonnenlicht wird die innere Uhr stoppen, der zweite Tag stellt die innere Uhr dann auf Ortszeit um.

Die Streicheleinheit via Kabel

Das könnte für Leser von 'Übermorgen‘, einem kostenlosen Werbeblatt von Philip Morris, interssant sein, vermute ich doch einmal viele Inter- kontinental-Reisende unter ihnen. (Abo kostenfrei, eine Postkarte mit dem Text „Ich will morgen Übermorgen“ an IDE, Fallstr. 42, 8000 München 70 genügt und lohnt sich!). Moralisten werden dieses Blatt ob seines Sponsors boykottieren, sponsort P. Morris doch in den USA auch Politganoven wie Jesse Helms, der Homosexuelle und Leute wie radikalere taz-Leser sicherlich am liebsten sofort abschaffen möchte. Aber davon ist in 'Übermorgen‘ nicht die Rede. Da geht es um jene Themen, die für die taz noch zu suspekt sind, auch wenn sich etliche ex-taz-Schreiberlinge wie Renée Zucker, Micky Remann und Mathias Bröckers unter den AutorInnen finden. M. Remann berichtet über Rupert Sheldrake und seine morphogenetischen Felder. Angereichert ist der Beitrag mit einem wissenschaftlichen Experiment, an dem alle LeserInnen teilnehmen können. Kurz, aber wichtig der Beitrag von Lutz Berger über NLP, mit neurolinguistischem Programmieren kann man das eigene Gemüt auf Vordermann (?) bringen. Handelt es sich hierbei um Kommunikation oder Manipulation? NLP- Erfinder Bandler dazu: „Wenn Sie eine Realität erfinden, sorgen Sie dafür, daß ein paar Freunde sie mit Ihnen teilen. Sonst geraten Sie in größte Schwierigkeiten. Das ist der Grund, weshalb ich NLP lehre. Ich möchte wenigstens ein paar Leute, die diese Realität mit mir teilen, damit mich die Männer in den weißen Kitteln nicht holen.“ Zukunftsweisend auch der Beitrag von Alan Lundell über „Touch-Tech“: Stimmen und Bilder können wir schon mit Telekommunikation übertragen. Jetzt kommt die Streicheleinheit via Kabel. Ich kann es förmlich spüren, wie sich ein Großteil der Leser angewidert abwendet bei diesem Gedanken. Alan Lundell hat jedoch ein spezielles Interesse persönlicher Art an dieser Entwicklung von Touch-Tech: Seine Eltern waren beide blind. Wir werden noch erleben, daß man Dinge spüren und fühlen kann, die es nur im Computer gibt. Und in der Tat können wir uns demnächst eventuell gegenseitig elektronisch streicheln, auch wenn wir auf der andern Seite der Erde sind. Stay tuned.

Ein Magazin aus der Parallelwelt

Die Zeitschrift 'Fusion‘ ('Wissenschaft & Technik für das 21. Jahrhundert‘) erscheint im selben Verlag wie die Kifferlachzeitschrift 'Krieg dem Rauschgift‘, im Gegensatz zu dieser ist sie jedoch auch an vielen Kiosken erhältlich. Beim Blättern und Lesen prallt einem ein dickes JA zu Tierversuchen, Atomkraft und anderen Themen entgegen, die für unsereins absolute NoNos bedeuten. Da kann man lesen, daß die Friedensbewegung mit dem Wort „Weltfrieden“ Schindluder treibt, daß mit der heutigen Technik 40 Milliarden Menschen ernährt werden können, daß Wallmanns politischer Opportunismus grenzenlos ist, da er die Stelle eines Tierschutzbeauftragten mit einem „notorischen Öko-Fanatiker“ besetzt und darob den Kinderschutz vernachlässigt etc. Die Chaosforschung spinnt, Ilya Prigogine gehört zu jenen Menschen, bei denen es sich „ganz allgemein um asoziale Personen handelt“ und im Bericht „Gaia verteufelt Wissenschaft“ wird ein gelungener Bogen (?!) von der Gaia- Hypothese (die Erde sei ein lebender Organismus) über Adolf Hitler und IBM zum Feminismus und der Ökologie geschlagen. Sehr erhellend auch die „sorgfältige Prüfung der Weltereignise zwischen dem 23. März 1983 und dem 9. November 1989“. Zitat: „Die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands wäre innerhalb so kurzer Zeit oder vielleicht überhaupt nicht möglich gewesen, wenn nicht LaRouche 1981/2 ein Projekt in Gang gesetz hätte, aus dem später die SDI hervorging... eine Idee im Kopf eiens einzigen Menschen zwang ein ganzes Weltreich in die Knie.“ Erstaunlich. Und selbiger LaRouche sitzt heute für 15 Jahre im Knast. 'Fusion‘, ein Magazin aus der Parallelwelt.

... und schließlich der Hauptgewinn

Setzt jetzt etwas Verzweiflung ein, da keines der bisher erwähnten Magazine empfohlen wurde? Nun, eines gibt es, das Woche für Woche Grundlegendes aus den Wissenschaften in kurzen wie langen Beiträgen, gut illustriert und recht farbig anbietet: der 'New Scientist‘. Leider in englischer Sprache und an deutschen Kiosken nur in großen Bahnhöfen erhältlich. Nachrichten und Artikel zu Themen wie dem Ozonloch, der informationellen und finanziellen Abnabelung der 3. Welt, den Energieproblemen, neue Erkenntnisse aus der Biologie, der Genforschung, der Weltraumfahrt etc, die man so aktuell, leicht verständlich und lesbar im deutschsprachigen Raum nicht findet. Titelthemen der letzten Ausgaben: „Aids in Africa: Caught in the poverty trap“; „Noises off: Tracking insufferable sounds“; „Mandelbrot on the geometry of nature“; „Talking hands: Sign language and the deaf“. Vor ein paar Wochen gab es eine Titelstory über den Flug des Frisbee, die wissenschaftlich und trotzdem freudvoll geschrieben war. Des weiteren lernt man über die internationale Einschätzung der deutschen Wissenschaften, sei es die neue Problematik der Ex-DDRler, Riesenhubers Aktivitäten für den Weltraum oder der Stellenwert deutscher Genforschungs-Gesetzgebung innerhalb Europas. In der mir vorliegenden Ausgabe lernt man zum Beispiel, daß die Mischung von Alkohol und Kokain 21 mal so tödlich ist wie Kokain allein, da diese spezielle Mischung Verbindungen eingeht, die schwache Herzen um Stillstand zwingt. Eine neue Videokamera- Halterung, die das Wackeln von Aufnahmen aus der Hand profihaft verschleiert, wird angekündigt. Weitere Thesen aus dem selben Heft: Nahm man bislang an, daß die ersten Menschen in Afrika lebten, so sieht es jetzt danach aus, daß Asien schon länger humanoid besiedelt war; die moderne Chemie dealt inzwischen wie die moderne Architektur immer mehr mit Strukturen, die aus der Natur übernommen wurden — das bedeutet andersherum aber auch, daß es immer leichter wird, Pläne für neue Moleküle und Stoffe zu basteln; sollten wir uns nicht, statt uns in Grübeleien über die globale Erwärmung zu ergehen, Gedanken darüber machen, wie wir einen wärmeren Planeten Erde erleben und auf ihm überleben können? ... Das sind Themen und Beispiele aus einer Ausgabe des 'New Scientist'. Wer Zeitschriften liest, um — gut unterhalten — zu lernen, der und die sollte (bei genügend Englischkenntnissen) dieses Blatt auf jeden Fall testen. (New Scientist, c/o IPC Magazines, Kings Reach Tower, Stamford Steet, London SE1 9LS; Einzelausgabe 1.30 engl. Pfund, Abo — 52 Ausgaben — 90, für Studenten 76 engl. Pfund pro Jahr).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen