piwik no script img

„Kein Auftrag der UNO“

■ Das Bonner Netzwerk Friedenskooperative antwortet auf Fragen der CDU/CSU DOKUMENTATION

In einer Presseerklärung hat sich der Erste parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der CDU/ CSU „gegen die einseitigen Demonstrationen“ gewandt.

Friedrich Bohl: Diejenigen, die jetzt den Rückzug der alliierten Streitkräfte fordern, müssen sich fragen lassen, warum sie erst jetzt auf die Straße gehen und nicht schon zu der Zeit, als der Massenmörder Saddam Hussein Tausende von Kurden vergaste.

Friedenskooperative: Während der Massenmörder Hussein Tausende von Kurden vergaste, waren es vor allem die Friedens- und Dritte-Welt-Gruppen, die protestierten, während die CDU/CSU-geführte Regierung noch auf der Sympathieseite des Iraks gegen den Iran stand.

Warum protestieren Sie gegen den Einsatz der von der UNO beauftragten Streitkräfte, haben es aber unterlassen, rechtzeitig gegen den irakischen Überfall auf Kuwait zu demonstrieren?

Seit dem 2. August 90 hat die Friedensbewegung unbeirrt die irakische Aggression gegen Kuwait verurteilt und den Rückzug gefordert. Da die konservativen Zeitungen, wie gewöhnlich, darüber nicht berichteten, hat Herr Bohl wohl davon nichts erfahren.

Warum protestieren Sie nicht gegen die irakische Androhung der Auslöschung Israels? Wo bleibt ihr Demonstrationsruf „Kein Gas gegen Juden“ angesichts der besonderen Verantwortung der Deutschen gegenüber den Juden?

Wer bedroht eigentlich Israel? Die von deutschen Technikern weiterentwickelten Scud-Raketen, gegen deren Arbeit die Bundesregierung jahrelang nichts unternommen hat, während die Friedensbewegung seit Jahrzehnten gegen Rüstungsexporte protestiert. Wir empfinden tiefe Scham angesichts eines solchen Verhaltens Deutscher. Unser Demonstrationsruf lautete deshalb nicht nur „Kein Gas gegen Juden!“, sondern „Kein Gas gegen Menschen!“. Deshalb fordern wir seit Jahren die Vernichtung von Giftgas und die Einstellung der Produktion chemischer Waffen.

Sind Sie nur dann auf die Straße zu gehen bereit, wenn Sie persönlich verängstigt sind, nicht aber, wenn andere Völker überfallen und terrorisiert werden?

Vom Vietnamkrieg über Afghanistan bis zum gegenwärtigen Bürgerkrieg in Somalia und Liberia zieht sich eine lange Kette von Kriegen und Staatsterrorismus. Der Protest der sozialen Bewegungen hat sie begleitet. — Übrigens gehen Menschen in diesem Lande zu Recht auf die Straße, wenn sie Angst haben, daß die Regierung eine Politik betreibt, die sie elementar gefährdet. Das war bei der Pershing-Stationierung so, das ist heute wieder so, denn durch die Politik der Regierung Kohl treibt die Bundesrepublik auf den Krieg zu.

Wollen Sie dem Diktator Hussein weiter gestatten, ein immer schrecklicheres Militärpotential aufzubauen?

Nicht wir, sondern deutsche Firmen gestatteten (und gestatten?) dem irakischen Diktator den militärischen Ausbau. Als der Irak noch den „richtigen“ Feind bekämpfte, nämlich den Iran, war auch die Bundesregierung in großem Maße mit Hermes-Bürgschaften dabei. Deutsche Industrie mit Unterstützung der Bundesregierung hat in vielen Ländern der Dritten Welt den Aufbau der Nuklearindustrie gefördert, welche die Voraussetzung für den eigenständigen Bau auch von Atomwaffen ist. Wollen sie dafür ernsthaft die dagegen stets protestierende Friedensbewegung verantwortlich machen?

Wollen Sie die Beschlüsse der Weltfriedensorganisation UNO wirklich mißachten?

Die UN haben niemandem einen Auftrag gegeben, Krieg zu führen. Der UN-Beschluß erlaubt lediglich, nach dem 15. Januar geeignete Mittel zur Befreiung Kuwaits einzusetzen. Wir sagen aber, Krieg ist kein geeignetes Mittel. Er löst keine Probleme, zerstört die Region und bringt tausendfachen Tod. Außerdem erhöht er die Gefahr für Israel enorm. Wir brauchen also intelligentere Mittel als Krieg. Wir brauchen politische Lösungen, z.B. Fortführung des Embargos und eine sofortige Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahost.

Befürchten Sie nicht, mit Ihren Demonstrationen dem Diktator Hussein den Rücken zu stärken?

Sie befürchten, unsere Friedensdemonstrationen stärkten nur Hussein den Rücken. Offensichtlich denken Sie nur noch in den militärischen Kategorien von Auge um Auge, Zahn um Zahn. Frieden würde vernünftige Lösungen fördern und die Gefahr der Kriegsausweitung bannen. Wer auf Krieg setzt, riskiert, daß die ganze Region einbezogen wird. Vielleicht können Sie sich vorstellen, welches Unglück und politisches Desaster dies bedeutete.

Wollen Sie wirklich in einer Welt leben, in der gewaltsame Überfälle auf andere Völker, der Bruch internationalen Rechts sowie Massenmorde ohne Folgen bleiben?

Eine Welt ohne „gewaltsame Überfälle“ schafft man nicht durch Krieg, sondern durch seine Überwindung und durch die Entfaltung einer wirksamen nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung. Die Aufrüstung der Dritten Welt, zu der die EG-Staaten soviel beitragen, fördert gerade eine gewaltsame Welt. Herr Bohl, statt die Friedensbewegung zu diffamieren, sollten Sie vor Ihrem eigenen Hause kehren und den bundesdeutschen Rüstungsexport stoppen!

Wollen Sie Deutschland tatsächlich schon wieder in eine Sonderrolle drängen und gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft in die Isolation führen?

Die Deutschen, Herr Bohl, waren seit dem Zweiten Weltkrieg in einer Sonderrolle. Ihre Nachbarn fürchteten, Deutschland könne wie nach 1918 wieder militärisch erstarken und bedrohlich werden. Glücklicherweise haben sehr viele Deutsche aus der Geschichte gelernt und treten heute gegen Krieg auf. Sollte dies eine Sonderrolle sein, so sind wir stolz auf sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen