Autos, Hot dogs, Cola — da boomt's in Berlin

■ Studie beschreibt die ungleiche Wirtschaftsentwicklung in den beiden Teilen/ Während die Westberliner Wirtschaft boomt, geht der Ostberliner Markt weiter den Bach hinunter/ Westarbeitslose profitieren, trotz Beschäftigungsbooms, kaum davon

Berlin. Was die Westberliner täglich sehen, ist jetzt amtlich. Das Einzelhandelsgewerbe, das Gaststättenwesen und auch das Touristikgeschäft (zumindest bis zum Ausbruch des Golfkrieges) brummt, der Fall der Mauer hat viel Geld in den Westteil der Stadt gebracht — und aus Ostberlin abgezogen. Im gesamten Jahr 1990, schreibt die Senatsverwaltung für Wirtschaft in einem Allgemeinen Überblick für die Wirtschaftsentwicklung, sind die Einzelhandelsumsätze um rund 28 Prozent gestiegen. Gäbe es die Mauer heute noch, hätten die Kaufleute für rund 21 Milliarden Mark Waren verscherbelt, dank der Ostler klingelten mehr als 25 Milliarden Mark in den Kassen.

Der große Boom entwickelte sich infolge der Währungsunion. 29 Jahre Konsumdefizit in Ost-Berlin führten zu 50prozentigen Verkaufssteigerungen in West-Berlin. Die großen Gewinner waren die Autofilialen und die High-Tech-Läden. Nahezu spiegelbildlich dazu litt der Ostberliner Handel unter einem Ausfall der Nachfrage. Bis zur Währungsunion sanken die Einzelhandelsumsätze um 20 Prozent, nach dem 1. Juli um fast 50 Prozent.

Aber nicht nur Ostler kamen in Massen und kauften auf Kurfüstendamm und Wilmersdorfer Straße — auch Westdeutsche und Ausländer trieben den Umsatz verstärkt in die Höhe. Im Jahre 1990 boomte der Fremdenverkehr wie nie zuvor. 2,6 Millionen Hauptstadthungrige suchten in Westberliner Hotels und Pensionen Quartier, ein Jahr zuvor waren es knapp 2,15 Millionen. Weil Touristen ihre Butterbrote nicht mitnehmen, konnte sich auch das Gastgewerbe freuen. Um 12 Prozent stieg der Umsatz nicht nur an Hamburgern, Coca-Cola und Bulletten, sondern auch an den sogenannten gesünderen Speisen.

Trotz aller Warnungen von seiten der Gewerkschaften lief auch die Industrieproduktion in Westberlin auf hohen Touren. Dies wird allerdings, wie das Deutsche Institut für Wirtschaft feststellte, nicht unbedingt so bleiben. Bereits Mitte 1990 plante jedes zehnte Industrieunternehmen, entweder in Ost-Berlin oder im Umland zu investieren.

Das könnte sich auf die Investitionslust in West-Berlin negativ auswirken — zumal dann, wenn durch den Abbau der Berlinförderung »Anpassungsprobleme« zu bewältigen sind und das Auslandsgeschäft durch die verlangsamte Weltkonjunktur sich weiter abschwächt. In Ost-Berlin sank die Industrieproduktion in den ersten zehn Monaten des Jahres 1990 um 21 Prozent, eine kurzfristige Besserung mag die Senatsverwaltung nicht prognostizieren.

Die Aufwärtsentwicklung im Westteil führte zu einem deutlich beschleunigten Anstieg der Beschäftigung. Seit 1950 wurden nicht mehr so viele Arbeitskräfte neu eingestellt wie 1990, rund 30.000 Personen. Von diesem Beschäftigungsboom profitierten allerdings die Westberliner in nur geringem Maße; besetzt wurden die Stellen weitgehend mit Pendlern aus Ost-Berlin und Umgebung. Insgesamt, so schätzt die Senatsverwaltung, arbeiten mindestens 40.000 Pendler im Westteil — eine Zahl, die der DGB für maßlos untertrieben hält. Die Gewerkschafter halten Zahlen um 100.000 für realistischer. Welche dieser Zahlen auch stimmt, die Statistiken beweisen auf alle Fälle: Wer in West-Berlin arbeitslos war, ist arbeitslos geblieben, das Landesarbeitsamt meldete für 1990 einen Jahresdurchschnitt von 90.200 Jobsuchenden.

Weil aber die Pendlerarbeit nicht den allmählichen Zusammenbruch des Ostberliner Arbeitsmarktes kompensieren konnte, wurde der Ostteil Ende des Jahres zur Hauptstadt der Arbeitslosen. Selbst das strukturschwache Brandenburg steht mit 7,4 Prozent Arbeitlosen besser da als Ost-Berlin mit jetzt schon 9,3 Prozent. Im Dezember suchten 66.800 Menschen eine neue Beschäftigung.

Wenn die derzeit 72.900 Kurzarbeiter vor allem durch das abzusehende Aus für die dortige Elektroindustrie auf Nullarbeit gesetzt werden, könnte das zu »erheblichen Problemen« auf dem Arbeitsmarkt im Großraum Berlin führen. Die Prognose der Senatsverwaltung für Wirtschaft ist für das vereinigte Berlin 1991 daher pessimistisch. Man kann davon ausgehen, heißt es in dem Bericht, »daß trotz anhaltender kräftiger Expansion im Westteil der Stadt die wirtschaftliche Leistung in Berlin insgesamt nur leicht wachsen oder sogar stagnieren dürfte«. Im Klartext: rückläufige Beschäftigung, steigende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Anita Kugler