: Legitim aber dumm-betr.: "Kein Guru und kein Rabbi" von E.Krippendorff, taz vom 19.1.91
betr.: „Kein Guru und kein Rabbi“ von E.Krippendorff,
taz vom 19.1.91
Es gehört einiges an Roheit dazu, den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus ein Szenario zu entwerfen, wie sie sich richtigerweise hätten verhalten sollen. Die Spekulationen, „ob ein Regime nicht an einem solch massiven passiven Widerstand (der deutschen Juden, damals weniger als ein Prozent der Bevölkerung!) selbst zerbrochen wäre“, ist zwar legitim aber dumm.
Wie Prag 1968 zeigte, reichte nicht einmal der passive Widerstand einer Bevölkerungsmehrheit, um ein System zu zerbrechen. [...]
Die angeordneten Pogrome im November 1938 geschahen zwar teilweise in der Nacht, aber durchaus nicht im Nebel. Die Reaktion der Bevölkerungsmehrheit war leider nicht so, daß man realitätsnah noch annehmen kann, daß sich bei einem Sitzstreik der jüdischen Deportierten „die deutsche Bevölkerung, oder doch tausende Einzelne sich da schließlich dazwischen gestellt hätten“. [...]
Richtig ist, daß der Krieg den Holocaust nicht verhindert hat und von den Alliierten, sofern es sich nicht um jüdische Soldaten handelte, nicht vorrangig zu diesem Zweck geführt wurde. Genauso richtig ist aber auch, daß an jedem Tag, den die Alliierten später gesiegt hätten, tausende mehr ermordet worden wären.
Es mag sein und ist wahrscheinlich, daß Hannes Steins provokative These, Ghandi hätte heute die Israelis aufgefordert, „die besetzten Gebiete zu verlassen, ihr Militär aufzulösen und sich von Saddam Hussein vergasen zu lassen“ der Politik Gandhis nicht gerecht wurde. Ich habe den Artikel nicht als wissenschaftliche Würdigung von Gandhis Werken verstanden, sondern als einen Hinweis auf die Anteil in Gandhis Botschaft von der Gewaltfreiheit, die humanistischem Denken widersprechen. Die aktuelle Situation der Israelis macht die Grenzen gewaltfreien Widerstands deutlich: gegen Saddam Husseins Raketen hilft kein Sitzstreik, sondern Zivilschutzmaßnahmen und Abwehrraketen, mit größerer Sicherheit die Zerstörung der irakischen Abschußbasen. Die Forderung Ekkehard Krippendorffs an Israel, sich sofort aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen, kann im Moment und während der Dauer des Golfkrieges einem Vorschlag zu der Selbstmordpolitik gleichkommen, die er Israel für die Vergangenheit vorwirft. Für einen — wünschenswerten — Rückzug aus den besetzten Gebieten müssen erst Bedingungen geschaffen werden, die die Risiken für die Existenz Israels minimieren. Nachdem Arafat seine gemeinsame Erklärung mit Ghaddafi abgegeben hat, in der es heißt: „Der Staat Israel ist eines der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges. Er muß verschwinden genauso wie die Berliner Mauer“, sind die Chancen hierzu für die Zeit nach dem Krieg erschwert worden. Die Chancen verbessern können alle, die sich in diesem unserem Lande massiv dafür einsetzen, daß weder in Israel noch anderswo noch einmal die Angst vor Gas- und anderen Waffen, die deutsche Unternehmen geliefert haben, umgeht. [...] Birgit Imroll
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