: ABGEKUPFERT!
■ Die avantgardistischen Eistanzgeschwister Duchesnay wurden mit ihrem eigenen Stil überlistet PRESS-SCHLAG
Was haben sie sich die letzten Jahre abgemüht, die Geschwister Duchesnay, um die altbackenen Preisrichter im Eistanz umzuerziehen! Ohne Unterlaß quälten die eigenwilligen Franzosen die traditionalistischen Juries mit wilden Dschungelküren, kompromittierten sie unnachgiebig mit Revolutionstänzen, hoffend, daß sich ihre Idee des modernen Tanztheaters durchsetzen wird.
Doch die nette Polka im Folkloreleibchen war zu fest in den ergrauten Wertungsköpfen verwurzelt. Während das Publikum längst ob der ungeheuerlichen Austrahlung der Duchesnay-Tänze mit stehenden Ovationen um Luft rang, griffen die Juroren regelmäßig zu tief. In Leningrad, als die sowjetischen Vertreter der Polkafraktion, Marina Klimowa/Sergej Ponomarenko, im vergangenen Jahr zum zweiten Mal den EM-Titel erhielten, tobte das Publikum vor Wut. Ungerecht sei der Sieg der Sowjets, verkrustet die Vorstellungen der Preisrichter, eine ausgeklüngelte Sache einiger Intriganten. Und unterschwellig schwang die Drohung mit: Wehe, wenn ihr sie in Sofia nicht gewinnen laßt!
So mußten sich die angegriffenen Notengeber schweren Herzens um und auf die neue Zeit einstellen. Doch auch der Konkurenz blieb der Gesinnunswandel im Eistanz nicht verborgen. So besann man sich auf die gleichsam traditionalistische Tugend des Kopierens — und hatte Erfolg. Während das Original, die Duschesnay, längst wieder choreographisches Neuland beschritten, übte die sowjetische Fälschung den Duschesnay-Stil. „Die haben unseren Stil kopiert“, ärgerte sich Isabelle Duschesnay über Klimova/ Ponomarenko, die am Samstag bei der EM in Sofia mit verdächtig modischen Tanztheater aufwarteten. Auch die Richter erkannten, dankbar, den Stil wieder und griffen zu hohen Noten.
Die Duchesnay hingegen, die nach dem Originalprogramm gemeinsam mit den Sowjets an der Spitze lagen, überforderten die Jury mit einem ausgefallenen Vortrag, der zwar extrem avantgardistisch, aber weniger mitreißend war wie die vorhergegangenen Küren. Das Publikum tat sich ob der eigenwilligen Pianomusik schwer mit dem so beliebten Im-Takt-Klatschen. Die „Reflexionskür“ zeigte zwei Menschen, die sich im Spiegelbild wiederfinden. Obgleich mit ausdrucksstarken Figuren gespickt, fehlte die ganz große Faszination. Zudem wackelte das Spiegelbild anfänglich ein wenig vor lauter Nervosität. Isabelle D.: „Der Druck war ungeheuer groß.“
So durften die Preisrichter voller Glück und nicht ganz zu Unrecht der harmonisch wie perfekt vorgetragenen Kür der zur Moderne konvertierten Sowjets den Vorzug geben: Marina Klimova und Sergej Ponomarenko holten ihren dritten EM-Titel. Die Biederen hatten die Künstler überlistet.
Altbewährtes setzte sich auch bei den Männern durch. Viktor Petrenko holte zum zweiten Mal den europäischen Einzeltitel. Wie eine Werbeschrift ließt sich die Beschreibung des sowjetischen Sportstudenten durch die stolze Trainerin Galina Smijewskaja: „Viktor verbindet eine ausgezeichnete Technik mit hoher Musikalität und und der Austrahlungskraft eines Ballettänzers.“ Weniger liebliche Töne hörte man aus der deutschen Ecke. Dem Deutschen Meister Daniel Weiß versagten die Nerven und die Knöchel, von sechs Dreifachsprüngen brachte er nur drei zustande. „Angst vorm Fallen“, analysierte er messerscharf. „Dabei ist es schon egal, ob ich zweimal auf die Fresse fliege.“
Ohne allzu engen Eiskontakt und leicht und locker brachte der deutsche Vizemeister Mirko Eichhorn seine Kür über die Zeit. Siebter Platz für den grazilen Berliner KFZ-Mechaniker. Daniel Weiß verkroch sich auf Platz 10, und der Jutta-Müller Schüler Ronny Winkler landete gar auf Platz elf. Da wird Mutti wieder schimpfen... miß
Herren: 1. Viktor Petrenko (UdSSR) 1,5 Punkte, 2. Petr Barna (CSFR) 3,0, 3. Wjatscheslaw Zagorodnijuk (UdSRR) 4,5, 4. Erik Millot (Frankreich) 6,5, 5. Philippe Candeloro (Frankreich) 7,0, 6. Alexej Urmanow (UdSSR) 9,0, 7. Mirko Eichhorn (Berlin) 12,0, .. 10. Daniel Weiß (Ingolstadt) 15,0, 11. Ronny Winkler (Chemnitz) 15,5.
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