: Daimlers Geschäft mit dem Tod
...für Staat und Dividende/ 135 vorläufige Festnahmen vor dem Werkstor von Mercedes-Benz in Untertürkheim/ Kaum Verständnis bei der Belegschaft für die Kriegsproteste ■ Von Erwin Single
Freitag morgen vor dem Werkstor von Mercedes-Benz in Untertürkheim: Rund 200 Friedensdemonstranten versammeln sich zu einer Blockade. Sie setzen sich vor das inzwischen verschlossene Portal; Transparente werden entrollt. „Ihr liefert die Waffen — und uns den Tod“ steht auf einem. Die Polizei zieht im Spalier auf; nach der dritten Aufforderung, die Zufahrt freizugeben, werden die Blockierer eingekesselt und anschließend einzeln herausgezogen, fotografiert und abtransportiert. 135 vorläufige Festnahmen zählen die Beamten. Hinter den Werkstoren beobachten neben aufmerksamen Werkschützern auch einige Betriebsräte die Szene, besorgt darüber, daß die Stimmung im Betrieb noch mehr aufgeheizt werden könnte. Vor dem Werkstor schleppt die Polizei noch die letzten Blockierer ab, als sich nur etwa 200 Mitarbeiter, allesamt aktive Gewerkschafter, zu der auf das Werksgelände verlegten Kundgebung versammeln. Dort werden die Rüstungsexporte genauso verurteilt wie die irakischen Rakentenangriffe auf Israel. An der Versammlung vorbei strömen die Massen der Werktätigen. Ihr Ziel: die Kantine. Ein Großteil zeigt kaum Verständnis für die Kriegsproteste — erst recht nicht mehr, seit die Friedensbewegung regelrecht mit Antiamerikanismusvorwürfen überzogen wird.
Öffentlich formulierte Vorwürfe, daß auch Mercedes zu den deutschen Firmen gehöre, die mit der Aus- und Aufrüstung des Irak Gewinne gemacht haben, prallen im Betrieb an Schutzargumenten ab: „Wir bauen ja nur Autos“, heißt es dort. Doch auch knapp 7.000 Militär-LKW sollen nach Angaben des Rüstungsexportarchivs Idstein in den Irak geliefert worden sein. Ob LKW sensible Güter seien, habe die Politik zu entscheiden, konterte Daimlers erster PR-Arbeiter Matthias Kleinert vergangene Woche vor Hohenheimer Studenten, „nach dem Gesetz sind sie es nicht“. An die Ristriktionen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) halte sich Daimler strikt, versicherte Kleinert, der für noch schärfere Exportbedingungen plädierte, schließlich wolle man „in jedem Land ein guter Gast sein“. Ob das auch für die Dasa-Tochter MBB gelte? „Manche Dinge würden wir heute nicht mehr liefern“, so die salomonische Antwort Kleinerts. Gegen MBB, das in die Exporte von Raketen, Panzerabwehrwaffen und Kampfhubschrauber verwickelt sein soll, ermittelt die Bielefelder Staatsanwaltschaft. Eine klare Antwort blieb Kleinert auch dem Mercedes- Betriebsrat Gerd Rathgeb schuldig, als dieser nach einem Radpanzer für Drittländer fragte, der gemeinsam von Mercedes und der französischen Societe Panhard entwickelt und gebaut werden soll. Der Mercedes-Betriebsrat hatte die Pläne „aufs Schärfste“ verurteilt, aber auch der „Plakatgruppe“, zu der Rathgeb zählt, die Verteilung eines Flugblattes im Betrieb untersagt. Dort heißt es: „Kriege will niemand. Aber Daimler-Benz schafft die Basis mit, damit sie geführt werden können.“ Nach Kleinerts Unternehmensphilosophie engagiert sich Daimler in der „Verteidigungstechnik“ schließlich nicht nur, um als „integrierter Technologiekonzern“ in der „Weltliga des Markts“ mitspielen zu können, sondern weil er zum Staat und seiner Verteidigungswürdigkeit stehe.
Ortswechsel. In Friedrichshafen am Bodensee liegt eines der bundesdeutschen Rüstungszentren. Dort hat der Flugzeughersteller Dornier seinen Stammsitz, der führende deutsche Triebwerkhersteller Motoren-Turbinen-Union (MTU) zwei große Produktionsstätten. Bei beiden Unternehmen liegt der Rüstungsanteil über 50 Prozent; beide gehören zu der Daimler-Tochter Dasa. Zu Dorniers militärischen Verkaufsschlagern zählt der gemeinsam mit der französischen Dassault- Breguet entwickelte Erdkampfjäger „Alpha Jet“. 30 dieser Maschinen wurden Anfangs der 80er Jahre auch in den Irak geliefert; Dornier bildete auch irakische Luftwaffenangehörige aus. Die Rüstungsgeschäfte der MTU florieren durch heißbegehrte Motoren für Panzer, Kriegsschiffe und anderes Kriegsgerät, zu deren erlesenem Kundenkreis auch die Generäle Saddam Husseins gehören.
Die Friedrichshafener Rüstungsarbeiter hatten 1917 Überstunden für die Kriegsproduktion verweigert. Daß ihnen damals die Gewerkschaft nahelegte, die Arbeit wieder aufzunehmen, scheinen sie sich bis heute gemerkt zu haben. In den Betrieben dominiere der „sogenannte Rambo- Effekt“, beschreibt ein Betriebsrat die Stimmung; „Kollegen, die gegen den Krieg sind, werden in übelster Form angegangen“, sagt ein anderer. Zu einer eilig einberufenen Funktionärskonferenz der IG Metall erschien nicht einmal ein Drittel der Betriebsvertreter; eine für vergangenen Donnerstag geplante Demonstration der Beschäftigten aus den Friedrichshafener Firmen platzte. Mit den Antiamerikanismusparolen sei die Stimmung vollends umgekippt, erklärt IG-Metall-Sekretär Gottfried Heil. „Wir müssen dafür sorgen, daß keine Rüstungsgüter mehr entwickelt und produziert werden“, appelliert ein MTU-Vertrauensmann, „wo bleibt unser Aufschrei?“ — „Meisterklasse im Verdrängen“ seien die meisten von ihnen, antwortete eine verzagt mahnende Dornier-Betriebsrätin.
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