piwik no script img

Tel Aviv: Warten im „gas-sicheren Zimmer“

Am Samstag schlugen erneut irakische Scud-Raketen in Israel ein/ Das Vertrauen auf die Patriots ist nicht groß  ■ Aus Tel-Aviv Amos Wollin

In dem Moment, als die Bonner Friedensdemo am Samstag über die israelischen Bildschirme flimmerten, heulten die Sirenen los. Angesichts der kurzen Warnzeit (maximal 2 Minuten) zwischen Sirene und ersten Raketeneinschlägen kann man nur noch den Fernseher ausschalten und in das „gas-sichere Zimmer“ rennen. „Dicht“ ist kein Zimmer im Haus, das ohnehin baufällig ist und größere Erschütterungen nicht aushalten würde. Das gilt für viele Gebäude in diesem älteren Stadtteil und den Armenvierteln, die bisher von Saddam Husseins Scuds bevorzugt worden sind.

Am Freitag abend trafen die irakischen Raketenschützen ein zum Glück leerstehendes Heim für invalide Kinder in meiner Nachbarschaft. Gestern sah ich mir den Schaden und den tiefen Krater im Hof des Gebäudes an. Eine Nachbarin stand neben mir. „Russisches Roulette!“, sagte sie. „Das hätte genausogut ein Volltreffer bei mir sein können.“ Russisches Roulette: alle spüren das, wenn sie in ihrem „Sicherheitszimmer“ hocken, mit Gasmasken und einem Polster auf dem Kopf, falls die Decke einfällt. Wenn sie dasitzen und je nach Lautstärke der Einschläge raten, ob sie gefährdet sind.

Man muß zwischen Scud-Einschlägen und Patriot-Schüssen unterscheiden lernen. Fürchten muß man sich bislang vor beiden, weil die Patriot-Abwehr noch nicht die richtige Lösung zu sein scheint. Man hofft, daß sich die gemischt amerikanisch-israelischen Patriot-Schützenteams bald „einschießen“.

Dann soll es weniger Opfer und Zerstörung geben, als dies am Freitag abend der Fall war: 1.000 Wohnungen wurden beschädigt, eine Person wurde getötet und rund 70 verletzt. Beim 6. Raketenangriff am Samstag gab es „nur“ zwei Verletzte: Ist das der Anfang einer besseren Verteidigung? Gewarnt wird jetzt vor möglichen Gasangriffen. Gleichzeitig wird gemeldet, daß die USA in Irak „gutartige“ Gase verwenden wollen...

Viele Leute verbrachten den Sabbat damit, die Trümmer ihrer Wohnungen oder der Häuser ihrer Verwandten zu durchsuchen. Man versucht zu retten was man kann, bevor das Haus ganz abgerissen wird. Ich besuche eine von den meisten Bewohnern verlassene Straße, in der es aussieht wie im zerbombten Beirut. Eine Scud (oder ein wesentlicher Teil davon) hat hier eingeschlagen.

Die Familie Rosenbaum war „Gott sei Dank nicht daheim“, sondern bei Verwandten außerhalb der Stadt „als es eingeschlagen hat“. „Man hat uns zurückgerufen und jetzt finden wir alles in Scherben“, sagt die weinende Frau Rosenbaum. Ihr Mann hat eine erstaunliche Einsicht: „Jetzt kann ich mir vorstellen, wie einer palästinensischen Familie zumute ist, wenn man ihr mitteilt, daß sie im Laufe von 2 Stunden ihr Haus zu räumen hat, falls sie nicht will, daß auch der Hausrat vom Militär in die Luft gesprengt wird.“

Außer Rosenbaums kommen jetzt auch viele andere ausgebombte Israelis — meist mittellose Familien mit vielen Kindern — zu dem Schluß: den Kriegen muß ein Ende gemacht werden. Rosenbaum sagt: „Alle diese Besetzungen müssen aufhören, damit endlich Frieden kommt.“ In den Notunterkünften wird der Wunsch nach „Frieden und Ruhe“ immer häufiger geäußert.

Ich hoffe, daß niemand daraus den Schluß zieht, daß „Raketenbeschuß gut für den Frieden“ ist. Die einzige richtige Konsequenz ist: Dem Krieg muß jetzt eine Ende bereitet werden, bevor er sich weiter ausbreitet. Eine amerikanische Meinungsumfrage zeigte gestern, daß fast die Hälfte aller Amerikaner für die Anwendung von taktischen Nuklearwaffen im Irak ist. Raketen, Gas, bakteriologische Waffen, ökologische Katastrophen, die von Kriegern verursacht werden, und dann Atomwaffen — für wen soll ein solcher Krieg zu „gewinnen“ sein? Und: cui prodest?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen