: Das kubisch-expressive Oberhaupt
■ Das Berlin Museum zeigt eine Ausstellung über Gustav Böß, den vergessenen Oberbürgermeister im Berlin der wilden 20er Jahre
Recht dürftig geraten ist die kleine Ausstellung Das vergessene Stadtoberhaupt. Porträt des Oberbürgermeisters Gustav Böß, die das Berlin Museum im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Schauplatz Museum« zeigt. Dürftig darum, weil zum einen die begleitende Potsdamer-Platz- Ton/Dia-Schau mit dem infarktmäßigen Titel Herz und Bauch aus »Raumgründen« entfiel. Dürftig zum anderen, da Gustav Böß auf einen engen Seitenflur des Museums abgedrängt wurde, wo er ein ärmliches Dasein fristet. Hinzu kommt, daß der Alt-OB zwar in einem (!!) Porträt — dem Hauptausstellungsstück — vertreten ist, Zusammenhänge zwischen Person und Stadtgeschichte sich aber nur über ein gut gemachtes Infoblatt verstehen lassen. Das »vergessene Stadtoberhaupt« bleibt so, dank der verstaubten Fotos in den musealen Glasvitrinen, fremder denn je. Sein Dienstantritt vor 70 Jahren, seine Leistungen für das Berlin der 20er Jahre und sein skandalumwitterter Sturz erscheinen nach wie vor merkwürdig fern.
Der Geschichte des Oberbürgermeisters nähert sich die Ausstellung allein über zwei Bürgermeister-Böß- Porträts: Für die Ahnengalerie im Roten Rathaus schuf der Prominentenmaler Max Oppenheimer zwei Bilder, die merkwürdigerweise bis heute nicht im Rathaus hängen. Böß, seit 1921 Oberbürgermeister, ließ sich 1926 von Oppenheimer porträtieren. Im Unterschied zu seinen Vorgängern, die in vollem Wichs und schwerer Ratskette für die Ewigkeit stillhielten, malte Oppenheimer den liberalen Böß im Straßenanzug, im Profil, mit schüchtern verschränkten Händen vor einer Berliner Stadtansicht. Die Mietskasernen des steinernen Berlins, nicht das noble Zentrum, werden symbolisch dargestellt. Zudem droht die kubisch-expressive Ansicht hinter dem dicken Bürgermeister gerade abzustürzen. Wegen »des kubistischen Hintergrundes, der die Stadt Berlin wiedergibt«, so die Kritiker, kam es unter den Mitgliedern des Magistrats, die über den Ankauf zu entscheiden hatten, zu einem mächtigen Streit. Das Bild sei wenig repräsentativ und zu teuer, meckerten sie. Offensichtlich hatten sie eine konventionellere Darstellung erwartet. Das moderne Gemälde wurde abgelehnt und verschwand in Privatbesitz.
Besseren Geschmack als die Magistratsmitglieder bewies der Pächter des »Ratskellers« im Roten Rathaus, hängte der sich doch eine Kohlekopie — möglicherweise eine Vorstudie zum Ölgemälde — an die Wand. 1933 wurde das Bild von den Nazis »sichergestellt« und hing kurzzeitig, als öffentliche Denunziation mißbraucht, in der Mühlendamm- Klause, einem rüden SA-Sturmlokal. Max Oppenheimer sollte damit als »Halbjude« verunglimpft werden. Ex-OB Böß, der, wie viele demokratischen Politiker, Mitte 1933 kurzzeitig in Haft genommen wurde, ist mittels an das Bild gehefteter Hetzschriften und Karikaturen als Symbol der »korrupten Weimarer Republik« beschimpft worden — eine Anspielung an den sogenannten »Sklarek-Skandal«. Die Gebrüder Sklarek, Inhaber einer Kleiderverwertungsgesellschaft, wurden Ende der 20er Jahre der betrügerischen Kreditgeschäfte zum Schaden der Berliner Bank bezichtigt. Zugleich hatten Beamte und Stadträte Bestechungsgeschenke von ihnen erhalten. Böß' Frau Anna hatten die Sklareks einen schicken Pelz zu einem offensichtlich zu niedrigen Preis verkauft. OB Böß wurde zum Gegenstand einer Polit-Affäre. Ein Spießrutenlauf begann, mit dem die politischen Gegner seinen Sturz betrieben. Die Nazi-Propaganda aus antisemitischen und antidemokratischen Ressentiments machte aus dem »Sklarek-Skandal« den »Böß-Skandal«. Trotzdem das Berliner Oberverwaltungsgericht Böß aller Verfehlungen freigesprochen hatte, reichte dieser 1930 den Rücktritt ein. Sein Ruf war in der Berliner Öffentlichkeit durch die Kampagne zu sehr angeschlagen.
Max Oppenheimers Kohle-Porträt wurde zerstört und ist in der Ausstellung nur als Fotodokument vertreten. Das Ölgemälde gehört dem Berlin Museum, das es aus Privatbesitz ankaufte. Ein Defizit der Ausstellung bleibt, daß kaum mehr als eine handvoll graubrauner Fotografien die wichtigsten Lebensstationen dokumentieren sollen. Der 1873 in Gießen geborene Böß war 1901 nach Berlin gekommen und nach seiner Tätigkeit bei der Eisenbahndirek- tion zuerst als Verkehrsstadtrat in Schöneberg, später als Stadtkämmerer von Berlin beschäftigt. Im Januar 1921 wurde Böß von der Stadtverordnetenversammlung zum ersten OB von Groß-Berlin gewählt, mit den Stimmen der Sozialdemokraten und der demokratisch-bürgerlichen Parteien. Böß trat sein Regierungsamt in einem Moment an, in dem sich die sozialen Probleme in der Stadt vor dem Hintergrund großer Inflation und wachsender Armut rapide beschleunigten. Ab 1924 entstanden unter der Regierung Böß Projekte, die dem Berlin der 20er Jahre seinen noch immer währenden mythischen Glanz gaben. Unter dem Stadtbaurat Martin Wagner errichteten Otto Salvisberg, Bruno Taut und Hugo Häring moderne gemeinnützige Wohnsiedlungen. Berlin wurde Hauptstadt einer neuen Architektur. Zugleich war Böß' Politik auf den infrastrukturellen Ausbau Berlins als Messe- und Verkehrsstadt ausgerichtet. Hans Poelzig entwarf das Messezentrum. 1928 entstand der Funkturm. Planungen für den Umbau des Platzes der Republik wie des Alexanderplatzes wurden diskutiert. Zu dem wirtschaftlichen Ausbau ganzer Industriekomplexe in Siemensstadt und Oberschöneweide kamen die Erweiterung des Westhafens und der Bau des Flughafens Tempelhof hinzu. Gleichzeitig wurden in einem städtebaulichen Programm Parkanlagen, ein Netz von Sportplätzen und Erholungsstätten gebaut. 1933, drei Jahre nach seinem Rücktritt, wurde Gustav Böß von den Nazis inhaftiert, 1934 aber wieder entlassen. In den 30er Jahren versank unter der massiven Nazipropaganda und dem SA- Terror nicht allein die Zeit der Weimarer Republik, auch ihre Repräsentanten wurden, wenn nicht ermordet, so doch vergessen gemacht. Gustav Böß starb 1946. rola
Das vergessene Stadtoberhaupt. Porträt des Oberbürgermeisters Gustav Böß. Bis Mitte Februar im Berlin Museum, di-so, 10-22 Uhr.
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