Agenten gegen Waffen

Das Bonner Regierungslager streitet über den Einsatz des Verfassungsschutzes im Vorfeld von illegalen Rüstungsexporten  ■ Von Gerd Nowakowski

Bonn (taz) — Die Frage, ob der Verfassungsschutz gegen illegale Rüstungsexporte eingesetzt werden soll, hat im Regierungslager zum Streit und bei SPD und Bündnis 90 zu heftigem Widerspruch geführt. Am gestrigen Abend wollte eine Staatssekretärsrunde aus dem Kanzleramt, dem Auswärtigen Amt und den Ministerien für Wirtschaft, Inneres und Justiz zu einer Einigung finden. Die Union möchte die Kompetenzen des Verfassungsschutzes entsprechend erweitern, um bereits im Vorfeld von Exporten mit nachrichtendienstlichen Mitteln — sprich V-Männern und Wanzeneinsatz — die kriminellen Machenschaften zu verhindern.

Der Staatssekretär im Innenministerium, Hans Neusel, hat dazu in der vergangenen Woche eine Vorlage gefertigt. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Bachmeier, erklärte allerdings, sein Haus sei in der Sache „nicht fördernd und nicht drängend“. Staatssekretär Neusel habe seine „Formulierungshilfe“ nur nach Auftrag der Staatssekretärsrunde erarbeitet.

Der Vorschlag ist nicht neu. Dem nach dem Ende des Ost-West-Konflikts unter Arbeitslosigkeit leidenden Verfassungsschutz auf diese Weise neue Aufgaben zu erschließen, hatte der Leiter des Bundesamts, Gerhard Boeden, bereits im Frühjahr 1990 gemacht. Anschließend war dies auch mehrfach vom Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Lutz Stavenhagen, vertreten worden. Bei der CDU/CSU wird die Aufgabenerweiterung unterstützt. Das knüpft an die Koalitionsverhandlungen an, bei denen insbesondere die CSU für Abhörwanzen und V-Männer-Einsatz beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität stritt.

Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Gerster, weist auf die „rechtssystematiche“ Lücke beim kriminellen Rüstungsexport hin, die nur vom Verfassungsschutz ausgefüllt werden könne. Der Bundesnachrichtendienst ist nur für das Ausland zuständig, die Polizei dürfe erst bei konkreten Straftatbeständen tätig werden, und das für Exporte zuständige Bundesamt für Wirtschaft schaltet sich erst bei Anhaltspunkten für Verstöße ein.

Die Regierungskoalition will das Paket zur schärferen Exportkontrolle bereits in der nächsten Woche im Kabinett beraten. Widerstand gegen die Aufgabenerweiterung für den Verfassungsschutz kommt von der FDP. Als „sachlich und politisch nicht zweckmäßig“ bezeichnete Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann das Vorhaben. Ermittlungen im Vorfeld von illegalen Exporten werden nicht abgelehnt, doch sollte diese Aufgabe dem Generalbundesanwalt und dem Bundeskriminalamt übertragen werden. Gleiches vertritt auch der rechtspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Detlef Kleinert: Der Verfassungsschutzeinsatz würde nur zu einer „weiteren Zersplitterung statt zu der erforderlichen Konzentration führen“.

Justizminister Kinkel (FDP) lehnt den Verfassungsschutzeinsatz ebenfalls ab. Eine solche Aufgabenerweiterung sei „verfassungsrechtlich, verfassungspolitisch und aus Gründen der Erforderlichkeit“ unnötig. Sinnvoll sei es, daß die Bundesanwaltschaft und damit das Bundeskriminalamt die Hinweise, die dezentral in Landes- und Bundesbehörden eingehen, wie dem Bundesamt für Wirtschaft oder den Zollkriminalämtern, bei gravierenden Fällen übernehmen und zusammenführen. „Das hat mit Vorfeldkontrolle überhaupt nichts zu tun“, fügte der Sprecher des Justizministeriums, Schmidt, hinzu. Bei einer Erweiterung der Verfassungsschutzaufgaben müsse außerdem das Grundgesetz geändert werden. Notwendig wäre neben der Änderung beim Verfassungsschutzgesetz auch eine Novellierung des G-10-Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und fernmeldegeheimnisses.

Die SPD lehnt solche Pläne ab. Der SPD-Innenpolitiker Penner äußerte den Verdacht, damit solle ein „praktisch unbegrenztes Beobachtungsfeld für den Verfassungsschutz eröffnet“ werden. Konrad Weiss (Bündnis 90) sagte, die Verfolgung von illegalen Exporten müsse Sache der Polizei sein. Aus den negativen Erfahrungen mit der ehemaligen DDR halte er nichts von präventiven Maßnahmen, die zu einem stasi-ähnlichen Apparat führen müßten.

Verfassungsrechtliche Bedenken hat auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Alfred Einwag, geäußert. Zuerst müsse einmal dargelegt werden, daß in diesem Bereich überhaupt ein Defizit bestehe. Beim Einsatz des Verfassungsschutzes würden von den V-Leuten in den Betrieben auch Informationen über Mitarbeiter gesammelt, völlig unabhängig vom Verdacht des Rüstungsexports.