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DERMUSIK-TIP ■ THE ACCÜSED
Eine äußerst amerikanische Angelegenheit ist Horror im Zuge des selbst initiierten Overkill und Overthrill geworden. Aus dem romantischen und überaus europäischen Dr.Jeckyll, in dessen Brust der grausame Mr.Hyde sich verzehrte, oder dem transsylvanischen Grafen, der im Sarg fern der Heimat durch die Jahrhunderte reiste, wurden rundum Antihelden, verdammte gesichtslose Massenmaskenmörder wie Freddie Krueger oder Jason der Freitagsdreizehnte. Die Kettensäge und die Axt regieren dort, was der Dollar nicht bestimmt.
Von Anbeginn bedienten sich die Jungs im Hardcore-Genre dieser und ähnlicher Figuren. Als erste haben dies in Amerika The Accüsed kultiviert. Stark an die Frontfigur von Iron Maiden angelehnt, ist ihr Maskottchen Martha Splatterhead ein Frühachtzigerschundprodukt, ein zusammengeschustertes Monstrum aus Knochen und Gewalt. Sie zierte bislang alle LP-Cover als »messerschwingende, unisexuelle, blutüberströmte Hüterin der Justiz.« Reagan und Bush durften mit ihr liebäugeln, flirten und schnäbeln, um sie mit Leben aufzufüllen. Sie bringen ihr auch heute noch beständig Opfer.
Für The Accüsed ist dieses Symbol des amerikanischen Unwesens die plastische Verkörperung ihrer Musik, die sie dementsprechend als Splatterrock bezeichnen. Da gibt es nichts Schönes zu erwarten, da werden alle Scheußlichkeiten aus dem Westen in stetiger Dröhnung pfeilschnell am Ohr vorbeigeschossen. Und zwischendurch behauptet sich der Sinn und Zweck als wenig mordlüstern. Im Grunde erwächst die Kraftmeierei ihrer Schlächterschauergeschichten aus der Ohnmacht im Angesicht der realen Zustände im heutigen Amerika. Der Song »Bullet-Ridden Bodies« beginnt mit neutral verkündender Nachrichtenstimme, die von Jugendlichen berichtet, die noch vor dem 18. Lebensjahr in New York im Kugelhagel draufgingen, 140 waren es im letzten Jahr, das weiß die Statistik. Es ist eine perfide Information unter vielen, dazu gemacht, ihrem Sachverhalt gemäß registriert und konsumiert zu werden, wie ein paar Tausend Opfer durch CNN gestern, heute und morgen im Fluß des Bildmaterials wieder miteingegraben werden. Fast jedes Speed-, Metal- und Hardcore-Stück erzählt solche Geschichten aus dem von Opfern, die ansonsten als banaler Nachrichten- und Schlagzeilenfortsatz ein weiteres Mal geopfert werden.
The Accüsed lassen sie dagegen zu Wort kommen, im Schreien und Brüllen des Sängers, im Aufheulen der Gitarren und im Zerhacken der Trommelfelle des Schlagzeugs. Man kann dem Amerika, das The Accüsed auf der Bühne auskotzen, glauben. Auch »Texas Chainsaw Massacre« beruhte auf einem wirklichen Massaker. Und momentan basteln die Amis ja bereits an einer neuen Legende für viele weitere Blutbäder. Harald Fricke
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