Revolver unterm Rock

■ „24 Stunden in seiner Gewalt“ — ein Popcornfilm

Joseph Hayes war ein kleiner Angestellter eines New Yorker Theaterverlages, bevor er 1943 begann, selbst Stücke zu schreiben. Anfang der 50er Jahre gelang ihm mit The Desperate Hours (An einem Tag wie jeder andere) ein Volltreffer. Die Geschichte der drei Ausbrecher, die sich brutal in die heile Welt einer Kleinstadtfamilie drängen, wurde ein Broadway-Hit, und ein junger Schauspieler namens Paul Newmann feierte erste Triumphe. William Wyler brachte das Bühnenstück 1955 auf die Leinwand. Unter seiner straffen Regie spielte Humphrey Bogart den bösen Buben und Frederic March den guten Jungen. Wyler und seine Mimen verstanden es, dieses Drama zu entwickeln, das sich aus dem Zwiespalt von Schutzbedürfnis und Drang nach Freiheit ergibt. Gutes altes Hollywood!

Mittlerweile sind der Traumfabrik längst die Ideen ausgegangen. Es gibt zweite, dritte, vierte Folgen von finanziell erfolgreichen Produktionen; selbst die Klassiker werden hemmungslos gefleddert, wenn nur ein Funke Hoffnung besteht, noch einen Dollar aus den alten Schwarz- Weiß-Schinken herauszupressen. So wurden Dino De Laurentis und Michael Cimino leider auf Desperate Hours aufmerksam.

Noch vor dem ersten Drehtag machte der Produzent Reklame für den Film, versuchte, das im Entstehen begriffene Werk als Kunst zu verkaufen und spricht von einer „zeitgenössischen Adaption“ des berühmten Stücks, an der der Autor selbst mitgearbeitet hätte. Cimino, der in Hollywood eher für seine Verschwendungssucht als für sein Talent berüchtigt ist, sorgte für den gesellschaftskritischen Touch: „Die Story ist heute relevanter als jemals zuvor“, behauptete er, „man muß sich nur die Verbrechensstatistiken ansehen, und man erkennt, daß jedem von uns zu jeder Zeit so etwas passieren kann.“ An der Story wurde so lange herumgedoktert, bis sie zwar kaum wiederzuerkennen, dafür aber nahtlos ins bonbonfarbene Yuppie-Amerika paßte. Als weibliche Hauptdarstellerin wurde (ihrer langen Beine wegen) Kelly Lynch verpflichtet, und den männlichen Part besorgte Hollywoods berühmtestes Schmuddelkind. Mickey Rourke, der in Europa zu den führenden Kassenmagneten zählt, findet in den USA die Anerkennung, die er verdient: keine! So ist seine Wahl auf den ersten Blick unverständlich. Aber der Regisseur hatte inzwischen jede Menge Sex ins Drehbuch schreiben lassen, also war die Entscheidung für Mickey Rourke doch nicht so abwegig.

Außerdem hatte Michael Cimino schon immer ein Faible für Symbolik, und so läßt er dirty Rourke gleich zu Anfang der schönen Kelly tief zwischen die Beine greifen. Kelly stöhnt ein bißchen, Rourke knetet ein bißchen und (Freudianer aufgepaßt!) zieht dann einen Revolver unter dem Rock hervor. In dem Stil geht es weiter. Rourke ist die geile Bestie, abgrundtief schlecht und gemein; von Kelly Lynch sind fast nur die Beine zu sehen, an denen die Kamera dauernd rauf und runter fährt. Ansonsten gibt's viele bunte Bilder und haufenweise blutige Gewalt: Dutzendware eben. Typischer Popcornfilm.

In den USA war Desperate Hours ein Flop. Es ist jedoch zu befürchten, daß die Europäer auf den Streifen hereinfallen. Hier halten sie schließlich auch Ciminos Heaven's Gate für Kunst, und Mickey Rourke wird, nachdem er sich in 9 1/2 Wochen über die Leinwand bumste, als Schauspieler verehrt. Karl Wegmann

Michael Cimino: 24 Stunden in seiner Gewalt , mit Mickey Rourke, Kelly Lynch, Anthony Hopkins, u.a. USA 1990, ca. 130 Min.