piwik no script img

„Unvermeidbarer Krieg“ oder „verspielte Chance“

■ Golf-Krieg: Streitgespräch der Bremer Fraktionsvorsitzenden von FDP und Grünen, Claus Jäger und Martin Thomas

taz: Ist der Krieg gegen den Irak ein gerechter Krieg, gibt es so etwas überhaupt?

Claus Jäger: Ich gehe nicht soweit, zu sagen: Das ist ein gerechter Krieg, aber ich sage, dieser Krieg war unvermeidbar. Insofern akzeptiere ich auch nicht den Vorwurf, daß andere Möglichkeiten der Diplomatie oder der Politik auf der Strecke geblieben sind. Bis zum Schluß wurden auf vielfältigstem Wege die Mittel genutzt — leider erfolglos. Deshalb sage ich: Dieser Krieg war unvermeidlich. Die Gerechtigkeitsbetrachtung überlasse ich anderen.

Hussein ist ein unkalkulierbarer Diktator mit unkalkulierbarem Waffenarsenal. Ist es da nicht ein bißchen naiv, einfach nur zu sagen: Aufhören.

Martin Thomas: Das wäre ein bißchen wenig. Aufhören kann nur der erste Schritt sein, die Konfliktregion Naher und Mittlerer Osten politisch zu verändern. Es war ja völlig richtig, daß die Völkergemeinschaft von Anfang an den Überfall auf Kuwait verurteilt hat, aber es hätte andere, nichtmilitärische Chancen gegeben: Das Handelsembargo auf einen langen Zeitraum durchzuhalten und den Irak international zu ächten und zu isolieren und sich den Problemen der Region zu widmen. Der Krieg war vermeidbar, und andere Chancen wurden nicht genutzt.

Jäger: Was wäre passiert, wenn man das Embargo aufrecht erhalten hätte? Das kann niemand beweisen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß das Embargo bei Hussein und seinen Soldaten überhaupt eine Wirkung haben konnte. Ich kann mir vielmehr vorstellen, daß wir statt der CNN- Reportagen aus dem zerbombten Bagdad Reportagen gehabt hätten, in denen irakische Frauen ihre verhungerten Kinder der westlichen Welt präsentiert hätten. Und das hätte moralisch unsere Öffentlichkeit überhaupt nicht ertragen.

„Wir hätten ein Embargo moralisch nicht ertragen“

Wegzensierte Leichen sind moralisch besser zu ertragen?

Claus Jäger: Ich sage nur: Wir hätten es alle nicht ertragen. Und wie hätten wir es rechtfertigen sollen, daß von dem Embargo nur die Unschuldigen betroffen werden. Natürlich trifft auch der Krieg Unschuldige. Aber wenn es keine Säuglingsnahrung gibt, dann trifft es doch nur Unschuldige. Das hält eine christliche Gesellschaft nicht aus.

Der andere Punkt ist: In dieser Zeit hätte Hussein doch alle Möglichkeiten genutzt, um sich noch besser für den Eventualfall vorzubereiten. Deshalb bin ich der Meinung, auch die Waffenstillstandsforderung ist gerade unter moralischen Gesichtspunkten überhaupt nicht zu rechtfertigen. Ich finde sie geradezu unmoralisch.

hier bitte den Mann

mit Schal

Martin Thomas (Grüne)

Thomas: Der Giftgaseinsatz gegen die Kurden - zu dem die Welt geschwiegen hat, obwohl wir die Bilder gesehen haben — hat überhaupt nicht dazu geführt, daß wir moralisch völlig zusammengebrochen sind. Da hat man schon gesehen, daß Hussein in der Tat bereit ist, über Leichen zu gehen. Und trotzdem ist er weiter aufgerüstet worden, und trotzdem hat die Bundesregierung keine Verschärfung der Exportgenehmigung durchgeführt. Und jetzt schreien alle diese Politiker, die ihn aufgerüstet haben, und sagen: Wir müssen ihm aber jetzt mit dem Krieg zeigen, daß es so nicht weiter geht, sonst wird er noch gefährlicher. Diese Logik wird mir nicht klar.

Ich gebe Dir aber in einem Punkt recht: Auch bei den anderen Strategien weiß keiner, ob es gelungen wäre, Saddam Hussein zurückzuhalten.

Jäger: Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß die Verhaltensweise des Westens, mit dem Beelzebub Saddam Hussein den Teufel Chomeini auszutreiben, falsch war. Letztlich hat man Hussein doch gestützt, weil er die Ölfelder Arabiens vor Chomeinis Horden geschützt hat. Daß das militärisch und moralisch falsch war — daran lasse ich überhaupt keinen Zweifel. Aber wir können uns von diesem Fehler ja nicht daran hindern lassen, das jetzt Vernünftige zu tun.

Es gibt ebenfalls keinen Zweifel, daß die Praxis der Rüstungsexport-Genehmigungen zu lax war, und da ist auch der Wirtschaftsminister der FDP nicht ausgenommen. Aber die furchtbarsten Waffen sind doch offiziell geliefert worden.

Thomas: Deswegen muß man auch die Rüstungsproduktion generell in Frage stellen.

Ist nicht die Forderung, jetzt sofort mit dem Krieg aufzuhören, auch deswegen falsch, weil dann ein Hussein in den arabischen Ländern als Sieger dastehen wird? Wäre das nicht eine unheimliche Gefahr für Israel?

Thomas: Für Israel hat sich die Gefährdung schlagartig verändert, als der Krieg von Seiten der USA begonnen wurde. Ich finde es verlogen, wenn sich jetzt gerade diejenigen hinstellen und sagen, wir müssen Israel schützen, nachdem sie die israelische Bevölkerung schon durch diesen Krieg gefährdet haben.

Ich bin fest überzeugt: Wenn Israel morgen bei Ende des Krieges sofort Gespräche mit den Palästinensern beginnen würde, dann wäre schon ein wichtiger Schritt zur Sicherheit Israels getan. Denn dann könnte Hussein das Palästinenser-Problem nicht mehr instrumentalisieren.

Jäger: Aber Du weichst der Gretchenfrage aus: Kann man es moralisch und politisch auf sich nehmen, daß beim Waffenstillstand diese Atempause genutzt wird, damit das vielleicht noch fehlende technische Detail entsteht, um den Giftgas-Sprengkopf auf die Scud-Rakete draufzusetzen.

Thomas: Ich finde das gar keinen moralischen Anspruch, wenn wir sagen: Einstellung aller Kriegshandlungen und Nahost-Friedenskonferenz. Das sind zwei Forderungen, die miteinander verbunden sind.

„Ein weiteres Sterben schafft morgen neue Husseins“

Natürlich ist der Karren jetzt unheimlich in den Dreck gefahren. Aber da argumentiere ich nicht moralisch, sondern sage mir: Ein weiteres Sterben in der Region schafft vielleicht morgen neue Husseins. Wer weiß denn, ob mit der Niederschlagung von Saddam Hussein die Probleme dieser Region gelöst sind. Es ist ganz kurzfristig gedacht, ein militärischer Erfolg wäre schon ein Erfolg für die Zukunft.

Jäger: Das behaupte ich auch nicht. Ich sehe aber zwei Anzeichen zur Hoffnung: Erstmals hat sich die Gesamtheit der Staaten dieser Welt zusammengefunden...

...aber nur, weil der Ostblock zerbrochen ist.

Jäger: Eben, bislang konnten doch solche totalitären Herrscher die Nischen im Ost-West-Konflikt suchen.

Thomas: Das waren Stellvertreter-Kriege.

Jäger: Das auch. Sie konnten damit immer eine Wirkung erreichen, die sie eigentlich nicht hätten haben dürfen.

Das zweite ist: Dieser Konflikt hat in einer Weise die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diesen arabischen Teil-Kontinent gelenkt, wie sie vorher nie bestanden hat. Auch für Bush steht fest: Ohne Lösung des Palästinenser-Problems ist das alles nicht zu machen. Man weiß, hier muß eine Friedensordung her. Das finde ich ein positives Zeichen.

„Töten ist nicht grundsätzlich unmoralisch“

Und noch ein Punkt zur Moral: Mich ärgert, wenn Leute sagen: Töten ist grundsätzlich unzulässig, unmoralisch, verwerflich. Das stimmt nicht. Jede Rechtsordnung läßt den Tod zum Schutz des eigenen Lebens zu. Wenn Töten per se nicht gerechtfertigt ist, dann heißt das: Graf Stauffenberg hat unmoralisch gehandelt. Dann heißt das: Der Tyrannenmord, der gelegentlich notwendig ist, ist unmoralisch, weil ich töten muß.

Thomas: Die Frage des Tötens ist eine Gewissensfrage und damit eine ganz subjektive Frage. Ich habe kein Recht, deshalb andere gleich zu verurteilen. Aber ich kann für mich sagen, daß ich Töten als Mittel zur Lösung von Konflikten ablehne.

Wenn ich höre, wie Du redest, dann sind wir Lichtjahre voneinander entfernt. Ich glaube, es ist ganz schwer, gemeinsam zu einer Verständigung zu kommen, weil ich von meiner ganzen Einstellung beim Krieg immer an die denke, die unschuldig dafür sterben müssen. Um die geht es mir in erster Linie. Natürlich sehe ich einen Verbrecher wie Saddam Hussein. Und trotzdem glaube ich, daß es noch andere Möglichkeiten gibt, ihn politisch unschädlich zu machen.

Ich stimme mit Dir überein, daß es durch das Ende des Ost- West-Konfliktes eine Riesen- Chance für die Völkergemeinschaft gibt. Aber genau die ist durch diesen Krieg verspielt worden. Da ist unsere grundsätzlich unterschiedliche Bewertung der Entwicklung. Ich glaube, eine neue Weltordnung läßt sich nicht herbeibomben. Wir müssen darüber nachdenken: Gibt es nicht- militärische Mittel selbst auf militärische Konflikte zu reagieren.

Sie sind beide Bremer Politiker. Welche Konsequenzen hat der Golf-Krieg für Bremen?

Jäger: Ein Beispiel: Die Firma Lürssen hat von den arabischen Emiraten zwei Minensucher in Auftrag bekommen - alles genehmigt, absolut sauber. Die Firma hat jetzt das Boot fertig — das hat einen Wert von 30 Millionen — und sie dürfen es nicht ausliefern. Da muß jetzt der Staat eine Antwort geben: Wer bezahlt der Firma diese Leistung?

Nehmen wir mal an, der Krieg ist in 14 Tagen vorbei, und jetzt wird Gerät gebraucht, um den persischen Golf von den Minen zu befreien...

Sie trennen zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen. Gibt es diesen Unterschied überhaupt?

Jäger: Ich will ihnen nur sagen: Den Rigorismus, das so etwas auf keinen Fall geschehen darf, den halte ich für falsch. Da wünsche ich mir eine differenzierte Betrachtungsweise.

Ich fand es schlimm, daß Vegesacker Schüler zu Lürssen geschickt wurden, und niemand wußte, daß Lürssen mit dem Irak niemals ein Geschäft gemacht hat. So kann ich Kinder nicht manipulieren, da muß erstmal ordnungsgemäß aufgeklärt werden.

hier den Mann

mit Schlips

Claus Jäger (FDP)

Thomas: Mein Vertrauen in die Politik hat sich in den letzten Wochen erstmal wahnsinnig reduziert. Ich könnte mir aber vorstellen, daß die Grünen im Rahmen einer Koalition eine Chance haben, in Bremen politisch etwas zu verändern. Der Hafen könnte als Umschlagplatz für Rüstungsgüter genau so eine Dimension haben wie Atomkraftwerke oder Sondermülldeponien in anderen Bundesländern. Die Grünen müßten diesen möglichen Druck nutzen, um zumindest längerfristig die Sozialdemokratie zu einer Umorientierung der Bremer Rüstungsindustrie zu bringen.

Der Handlungsspielraum für Bremen ist äußerst gering. Aber ich kann mir vorstellen, daß auch mit Investitionshilfen für den Vulkan ein politisches Zeichen gesetzt wird, daß ein Rüstungsbetrieb rüstungsfrei gemacht wird.

Würdest Du Claus Jägers Differenzierung der Rüstungsexporte folgen?

Thomas: Nein. Man kann doch den Gasspürpanzer heute in Israel zum Schutz der Bevölkerung einsetzen und morgen, um Soldaten einer Offensivstrategie zu ermöglichen, im Kampf gegen ein x-beliebiges Land. Trotzdem würde ich mich im Moment nicht gegen den Schutz der israelischen Bevölkerung wehren...

Und das darf auch über Bremen verschifft werden?

Thomas: Das ist nicht die Frage. Es geht in erster Linie um die Rüstungsproduktion. Da müssen die Grünen Druck entwickeln. Grundsätzlich sehe ich unsere Aufgabe in den nächsten Jahren darin, die Öffentlichkeit aufzuklären, wo überall Rüstungsproduktion stattfindet — besser, als das bisher bei den Schülern vor der Lürssen-Werft passiert ist. Und wenn dann nicht gleich wieder zum Alltag übergegangen wird, wäre schon viel erreicht.

„Du weichst den Gretchenfragen aus“

Jäger: Auch hier weichst Du der Gretchenfrage aus: Wenn es richtig ist, daß Israel und auch andere Länder ein Recht zur Verteidigung haben, dann muß man dafür Waffen einsetzen. Und wenn Israel sie nicht hat, dann muß man auch bereit sein, daß diese Waffen transportiert werden — auch über Bremerhaven. Die Forderung, auf jede militärische Produktion zu verzichten, heißt im Endeffekt Schutzlosigkeit gegenüber demjenigen, der sich an die moralischen Prinzipien nicht hält.

Thomas: Du versuchst damit, die Friedensbewegung auf die Ebene von Regierungspolitik zu transportieren...

Jäger: Du hast doch selber von Koalitionsverhandlungen gesprochen...

Thomas: Die Friedensbewegung hat doch nicht die Macht, im Rahmen von Regierungen mitzuentscheiden. Und ich bin Teil dieser Friedensbewegung.

Jäger: Nein, Du sitzt hier als einer der 100 Abgeordneten in Bremen. Und Du kannst Dich auch nicht von der Politik distanzieren. Wir sind Politik. Ich finde das von Dir ein bißchen populistisch.

Thomas: Es gibt einen Unterschied, ob ich Verständnis für die Schutzmaßnahmen in Israel habe, oder ob ich mich aktiv dran beteiligen will. Der Spielraum der Friedensbewegung ist nur dann gegeben, wenn sie sich weder in die Kriegskoalition, noch in die Kriegslogik einspannen läßt. Und das versuchst Du im Moment.

Sollen denn Giftgasspürpanzer über Bremen nach Israel geliefert werden oder nicht?

Thomas: Ich kann diese Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten. Ich kann nur sagen: Ich würde dagegen nicht protestieren. Das Gespräch führten Holger Bruns-Kösters und Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen