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Rückkehr in die Politik?

■ Das Baker-Bessmertnych-Abkommen als Auftauchstation für die UdSSR im Golfkonflikt

Nimmt man George Bush' Versicherung ernst, es werde keine Kampfpause geben bis zur Vertreibung der Truppen Saddam Husseins aus Kuwait, so kann die gemeinsame Erklärung der Außenminister Baker und Bessmertnych nicht in Übereinstimmung gebracht werden mit der Linie des Präsidenten der USA. In dieser Erklärung wird ein Waffenstillstand für den Fall in Aussicht gestellt, daß „der Irak sich eindeutig zu einem Abzug aus Kuwait verpflichtet“ und „sofortige und konkrete Schritte unternimmt, die Resolutionen der UNO zu erfüllen". Entgegen der strengen Absage Bush' an jedes „linkage“ stellen die beiden Außenminister „verdoppelte Anstrengungen“ der USA und der UdSSR in Aussicht, nach Kriegsende die „anderen großen Nahost-Probleme“ zu lösen.

Es liegt auf der Hand, die gemeinsame Erklärung nur als taktisches Manöver der USA zu interpretieren. Als Beruhigungsgeste gegenüber den arabischen Verbündeten. Oder als Bestandteil eines Deals mit Gorbatschow, der es der Sowjetunion erlauben würde, nach einer Phase vollständiger außenpolitischer Passivität nicht nur wieder aufzutauchen sondern dabei sogar noch politisches Profil zu zeigen. Tatsächlich hatte Gorbatschow nach dem Scheitern seiner Emissärsdiplomatie den Einsatz militärischer Mittel gegen den Irak gebilligt, sich aber gleichzeitig aus dem internationalen Kriegsvermeidungsmanagement verabschiedet. Unter dem Druck seiner neuen Freunde beim Militär und der Bürokratie akzeptierte er das Primat der Innenpolitik. Der Krieg wurde nur unter dem Aspekt seiner Auswirkungen auf die inneren Verhältnisse in der Sowjetunion zur Kenntnis genommen. Gorbatschow unternahm sogar den Versuch, den berühmten „Windschatten des Krieges“ für eine rasche Lösung seiner baltischen Probleme zu nutzen, vergeblich, wie wir wissen. Kann Gorbatschow, nachdem er im Baltikum dem Westen nachgegeben hat, jetzt seinerseits eine außenpolitische Initiative im Golfkrieg starten?

Die Bessmertnych-Baker-Erklärung bietet in der Tat Ansätze, die es gestatten würden, in der gegenwärtigen Phase des Krieges einen vernünftigen Kompromiß zustande zu bringen. Saddam, dessen militärisches Potential auf längere Zeit geschwächt worden ist, könnte durch einen schrittweisen Rückzug hoffen, seine Herrschaft und seinen Nimbus in der arabischen Welt zu erhalten. Die USA aber wären gezwungen, von ihrer exzessiven Interpretation der UNO-Resolutionen abzugehen. Den Israelis schließlich würde eine Nahostkonferenz nicht oktroyiert, sie könnten sich aber dem diplomatischen Druck zu ihrer Einberufung (unter Einschluß der PLO) kaum entziehen. Würde die Bessmertnych-Baker-Erklärung von der Sowjetunion Ernst genommen, d.h. ihre Verwirklichung gegenüber dem Erklärungspartner USA eingeklagt, so könnte dort fortgefahren werden, wo die Anstrengungen der „Politiker“ ihr Ende hatten: im letzten November. Es wäre also möglich, die unrealistische und in ihren Folgen undurchdachte Position eines Waffenstillstands ohne alle Bedingungen ebenso zu vermeiden wie die Unterordnung unter die Kriegsziele der USA, die faktisch auf eine Zerstörung des Irak und eine langfristige Hegemonie der Amerikaner in der Golfregion hinauslaufen.

Die Chancen für eine neue, eigenständige Initiative der Sowjetunion werden allerdings von Tag zu Tag schlechter. Das ursprünglich von der sowjetischen Diplomatie favorisierte Projekt einer „authentischen“ UNO-Streitmacht mit entsprechenden Kommandostrukturen ist erledigt, in der Baker-Bessmertnych-Erklärung taucht die UNO bezeichnenderweise gar nicht erst auf. Wer international gemeinsam mit der Sowjetunion Druck auf die Falken in den Vereinigten Staaten und auf Saddam Hussein ausüben soll, ist von den Sowjets nicht zu erfahren. Bessmertnych selbst hat hervorgehoben, daß er die gemeinsame Erklärung für grundlegend hält, für die wichtigste amerikanisch- sowjetische Nahostinitiative seit den 70er Jahren. Die sowjetische Presse ist ihm darin gefolgt, wobei sie die Veränderung der amerikanischen Position in der gemeinsamen Erklärung betonte. Ein Indiz dafür, daß die sowjetische Führung wieder angefangen hat, ihre eigenen außenpolitischen Schritte ernstzunehmen. Das ist nicht viel, aber viele Strohhalme stehen gegenwärtig nicht zur Verfügung. Christian Semler

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