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Brutalo-Signal aus München

■ Das Kronzeugengesetz taugt für die DDR-Heimkehrer der RAF nicht mal als Notlösung KOMMENTARE

Der erste RAF-Prozeß unter den Bedingungen des Kronzeugengesetzes ist vorbei. Zurück bleiben Frust und Verbitterung auf allen Seiten. Das Urteil gegen Werner Lotze attestiert „dem Staat“ nicht — wie es Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz so gern gehabt hätten — eine neue Friedfertigkeit gegenüber seinen früheren Feinden. Im Gegenteil: Die Münchner Richter führen die Auseinandersetzung beinahe so, als habe es die vergangenen zehn Jahre im Leben des Angeklagten nicht gegeben. Bald wird sich Werner Lotze in seiner Zelle zu fragen beginnen, ob er ohne die „bestürzende Offenheit“, von der selbst seine Ankläger beeindruckt waren, nicht billiger davongekommen wäre. Die militante Szene wird diese Entscheidung nicht zum vielbeschworenen „Deal“ zwischen Bundesanwaltschaft, Verteidigung und Gericht umdichten können.

Das Kronzeugengesetz, angewandt auf die in der DDR festgenommenen RAF-Aussteiger der siebziger Jahre, war mangels juristischer Alternative für alle Verfahrensbeteiligten von Anfang an nicht mehr als eine Notlösung — für Lotze, weil er schnell erkannte, daß allein die Existenz dieser Regelung die Glaubwürdigkeit seines Aussageverhaltens diskreditiert; für seinen Verteidiger, weil er, um das Gericht vom außerordentlichen Wert der Gesprächigkeit seines Mandanten zu überzeugen, stets in Gefahr stand, ihn zur „Speerspitze aller Verräter“ hochzumanipulieren; für die Bundesanwaltschaft, weil sie den Nachweis des Sinns ihres ungeliebten Gesetzes nun auch noch am falschen Objekt erbringen mußte; und schließlich für die Richter, die — aus einer dem reaktionären Sühnegedanken verhafteten Grundhaltung heraus — unbedingt ein hartes Urteil fällen wollten und ihre Unabhängigkeit von der merkwürdigen Einheitsfront aus Anklage und Verteidigung bedroht sahen.

Das Kronzeugengesetz, das eigentlich aktive RAF-Kämpfer aus der Gruppe herausbrechen sollte, hat bereits in dieser nie geplanten Variante jenes bedrückende Eigenleben entwickelt, das ihm von den Kritikern von jeher prophezeit worden war. Da war die Rede vom „Dominoeffekt“, den Lotzes oder Susanne Albrechts Aussagen ausgelöst hätten. Was nichts anderes heißen kann, als daß alle reden müssen, wenn eine/r redet — getreu der abgewandelten Devise: Wer zu spät kommt, bleibt am längsten in der Kiste. Da haben die Ermittler den in der DDR zehn Jahre lang erfolgreich „resozialisierten“ Gefangenen ganz konkret vorgerechnet, daß diese oder jene Aussage nicht ausreicht, um dieses oder jenes Geständnis im Strafmaß aufzuwiegen. Manche haben sich unter diesem Druck hinreißen lassen, Dinge zu erzählen, die sie selbst nicht aus eigenem Erleben kannten. Auch in den kommenden Prozessen wird sich das entwürdigende Schauspiel wiederholen. Werner Lotze wollte nicht, daß sein Wissen über die RAF „als Ware betrachtet“ wird. Doch genau so ist es gekommen: Die Ware wurde als minderwertig eingestuft. Der Warencharakter der Aussagen liegt in der Natur des Kronzeugengesetzes.

Den Staatsschutzbehörden ist in diesem Zusammenhang höchstens vorzuwerfen, daß sie sich gar zu bereitwillig auf die Anwendung der Kronzeugenregelung für diesen Personenkreis eingelassen haben und so denen aus der Bredouille halfen, die eigentlich am Zug waren: den Politikern. Auch die hatten ein strategisches Interesse daran, mit diesen „späten“ Gefangenen anders umzugehen, als mit aktuellen Mitgliedern der RAF. Das Kronzeugengesetz ist für diesen Zweck das falsche Instrument. Die Bonner Koalition war seinerzeit stark genug, mit der Kronzeugenregelung die gesamte bundesdeutsche Rechtssystematik aus den Angeln zu heben. Nun für den begrenzten Personenkreis der DDR-Spätheimkehrer eine schlichte Amnestieregelung vorzubereiten, dafür fehlt bisher sowohl die Kraft als auch der politische Wille.

Die historische Aufarbeitung dieses Abschnitts der jüngsten bundesdeutschen Geschichte ist überfällig. Werner Lotze hat daneben auch die juristische Prozedur als „richtig und notwendig“ bezeichnet. Auch dem kann man zustimmen. Schließlich hat es Opfer gegeben — auf allen Seiten. Aber ist es danach wirklich notwendig, daß die Täter von einst, die ihre Taten ausnahmslos nicht mehr verteidigen, auf Jahre hinter Gittern verschwinden? Was kann die Inhaftierung heute mehr bedeuten als Rache und Vergeltung? Spätestens nach dem letzten Prozeß gegen die DDR-Heimkehrer ist die Politik in der Pflicht — nach diesem Urteil gegen Werner Lotze dringlicher denn je. Gerd Rosenkranz

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