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EG im Flammenschein des Krieges

Eurokraten beraten über politische Einheit, Wirtschafts- und Währungsunion/ Doch der Militärkonflikt bremst den Integrationsprozeß  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

„Nein, wir wissen nichts darüber, wir haben auch nichts damit zu tun“ — seit Tagen weigert sich die EG- Kommission, zu dem Rausschmiß des arabischen und türkischen Reinigungspersonals Stellung zu beziehen. Aus Sicherheitsgründen sollen drei Viertel der putzenden Belegschaft gekündigt worden sein. Die Haltung ist charakteristisch: So wenig die EG-Verwaltung sich für das zuständig fühlt, was in ihrem eigenen Haus als Konsequenz des Golfkriegs passiert, so gering ist das Interesse der EG allgemein, sich mit dessen Folgen auseinanderzusetzen. Statt auf eine schnelle Beendigung des Krieges hinzuarbeiten, planen die Eurokraten für „die Zeit danach“.

Der vorläufige Höhepunkt dieser Vogel-Strauß-Politik findet heute statt: Die EG-Außenminister treffen sich zum ersten Mal seit dem pompösen Gipfel in Rom Mitte Dezember, um an der Umsetzung der damals beschlossenen kombinierten Wirtschafts- und Währungsunion sowie politischen Union der EG zu arbeiten. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, so hatten die Staats- und Regierungschefs noch in Vorkriegseuphorie beschieden, soll das europäische Haus wirtschaftlicher Art schmücken. „Diesen entscheidenden Schritt gelte es jetzt um jeden Preis zu tun“, tönte Luxemburgs Außenminister und amtierender Ministerratschef Poos vor wenigen Tagen. Er wolle noch vor nächstem Juli die Arbeiten zu dem Projekt abschließen. Ein ebenso ehrgeiziges wie schwieriges Unterfangen, denn zuerst müßten sich die EG-Regierungen auf eine gemeinsame Haltung zum Wüstenkrieg am Golf einigen.

Da dies allerdings den eh schon angeknacksten Zusammenhalt zwischen den Zwölf über alle Maßen strapazieren würde, konzentriert man sich vorerst auf die Nachkriegsperiode, allerdings das denkbar schlechteste, was der EG widerfahren kann. Denn je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird auch der weitere wirtschaftliche Integrationsprozeß. Absehbar ist ja, daß sich die US-Sandkastenspiele als falsch herausstellen und aus der Blitzaktion ein handfester Krieg wird.

Ein drastisch ansteigender Ölpreis würde die schon geschwächte Wirtschaftskonjunktur der meisten EG-Mitgliedsländer völlig abbremsen und damit die Mittel verringern, die zum Ausgleich des starken regionalen und sozialen Gefälles innerhalb der EG gedacht sind. Zudem brächte ein erneutes Anziehen des Ölpreises die Situation im neuen Hinterhof der EG, den mittelosteuropäischen Staaten, zur Eskalation. Ähnliches gilt für den alten Hinterhof, die arabischen Mittelmeerstaaten, die sich mehr und mehr zum Aufmarschgebiet Saddam Husseins ideologischer Armee entwickeln. Die wahrscheinliche Folge: stärkere Abschottung der EG, nicht nur nach außen, sondern auch nach innen.

Selbst EG-Dynamiker wie Kommissionspräsident Jacques Delors müssen einräumen, daß von Briten und US-Amerikanern abgeschossene Raketen auch auf das europäische Haus gerichtet sind. Zumindest an dieser Front waren die „Anglos“ bislang erfolgreich: Von politischer Union mit gemeinsamer Außenpolitik kann nicht mehr die Rede sein. Im Gegenteil, das vom britischen Kriegsherrn Major gestreute Gerücht, die EG wäre dafür noch nicht reif, brennt wie ein Strohfeuer.

Die demonstrative Art, mit der sich Ex-Premier Thatcher Anfang August hinter Bush's Militärpolitik gegen den „neuen Hitler“ am Golf stellte, ließ ihren EG-Kollegen zu Hause wenig Wahl. Dieses Mal hatte sie ihre beiden Hauptwidersacher, Kohl und Mitterrand, auf dem falschen Fuß erwischt. Möchte-gern- Großmacht-Chef Mitterrand konnte nicht einfach Großbritannien und den USA das Feld überlassen. Gleichzeitig sah er sich schon wegen der besonderen Beziehungen Frankreichs zur Mittelmeerregion und den Millionen arabischen Immigranten im Lande selbst zu einer gemäßigteren Politik gezwungen. Dem Wiedervereinigungsgespann Kohl und Genscher kam die Attacke völlig ungelegen. Entsprechend lavierten sie und versuchen in Kohlscher Manier auch diese Krise auszusitzen. Die restlichen neun EG-Mitglieder waren zwar aus unterschiedlichen Gründen mehr oder weniger gegen den Krieg, konnten sich jedoch auch nicht zur gemeinsamen Anti-Kriegspolitik durchringen. Mit dem Erfolg, daß die Warlords Major und Bush die Tagesordnung bestimmen.

Gewiefte EG-Strategen wie Genscher meinen jedoch, eine Lösung gefunden zu haben: Ausgerechnet die Verlagerung der meisten US- Truppen an den Golf soll die zentrifugalen Kräfte innerhalb der EG bändigen helfen. Da davon ausgegangen wird, daß diese Truppen kaum mehr nach Europa zurückverlegt werden, will man schnellstens das Vakuum beseitigen, das durch den Abzug entstanden ist. Und wer anders könnte dies organisieren, als eine aufgewertete und eng an die Nato angelehnte Westeuropäische Union (WEU). Zumal der Golfkrieg sich ja Richtung Iran, Türkei und Sowjetunion ausbreiten könnte. Ob dies heute diskutiert wird? Allenfalls am Rande, lautet die Antwort — sicheres Zeichen dafür, daß der Wandel der Wirtschaftsgemeinschaft zum Kriegerbund bereits auf der inoffiziellen Tagesordnung steht.

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