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SZENISCHELESUNGIM»CHARLOTTENBURGERFORUMSEXUALITÄT«

GIBTESTIGERAMKONGO?  ■  AIDS & ANGST IM POMMERNSAAL

Gibt es Tiger am Kongo? Bereits zweimal in der Stadtbücherei Tempelhof diskutiert, entwickelt sich das Rätseln um diese eigentlich simple, wenn auch ungewöhnliche Frage mehr und mehr zum bezirklichen Renner: Heute abend steht sie im Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg auf dem Programm. Doch die Antwort bringt keine Expedition mit Heinz Sielmann, sondern eine szenische Lesung der Theaterproduktion Strahl, die sich von den üblichen Possen der Charlottenburger Kommunalpolitik positiv abzuheben vermag: Thema der Aufführung sind die Ängste im Umgang mit HIV und Aids.

Bereits mit ihrer bekannteren Inszenierung »Dreck am Stecken« fand die an sozialen Themen orientierte Off-Theatergruppe Strahl das Wohlwollen der bezirklichen Aids-Beratung, das sich mit dem heutigen Auftritt nun auszahlt. »Gibt es Tiger am Kongo?«, geschrieben von den Schweden Bengt Ahlfors und Johan Bargum, ist der Dialog zwischen zwei Schriftstellern, die — den Auftrag zu einer Komödie über Aids in der Tasche — verschiedene Inzenierungsvarianten in Gedanken durchspielen. Das Bühnenbild ist schlicht, zwei Stühle und ein Tisch, vom Text soll schließlich nichts ablenken. Ihn mit Leben und Emotion füllen Gruppenchef Rainer Strahl selbst zusammen mit Wolfgang Stüßel.

Vor allem lebt das Stück durch seine überraschenden Brüche: Die anfängliche Idee eines schwulen Kongo-Touristen, der seinen Freund am Flughafen mit Mundschutz und Gummihandschuhen begrüßt, wird verworfen und stattdessen ein biederer Lehrer-Ehemann in den Mittelpunkt gerückt, der vom positiven Testergebnis einer alten Urlaubsbekanntschaft erfährt. Kurz aber erstaunlich sensibel beschreiben die Autoren seine Angst, das »Ja« oder »Nein« zum Test, die wechselnden und zum Teil dramatischen Reaktionen nach dem positiven Ergebnis, die neuen Schwierigkeiten gegenüber PartnerInnen, FreundInnen und KollegInnen. Betroffene werden damit vom Stück genauso angesprochen wie jene, die den HIV-Virus noch immer allein bei Schwulen oder im fernen Afrika vermuten.

Der erhobene Zeigefinger mag dabei erschrecken, läßt sich aber in der anschließenden Diskussion leicht wieder herunterholen. Zu Fragen und Antworten stehen sowohl die Darsteller als auch MitarbeiterInnen des Berliner Arbeitskreises Sexualität, des Bezirksamtes und des Centrums für Sexualwissenschaft bereit. Letztere zeichnen insgesamt für das »Charlottenburger Forum Sexualität« verantwortlich, deren Teil und einsamer Höhepunkt die heutige Lesung ist. Schon die folgende Forums-Veranstaltung wird zum Fauxpas: Als hätte es nie eine Kritik am herrschenden Sexualstrafrecht gegeben, darf nächsten Dienstag ein FU-Professor zum Thema »Sexualstraftäter — abnorm, pervers oder krank?« referieren.

»Gibt es Tiger am Kongo?« ist im Gegensatz dazu eine rhetorische Frage, deren aufklärerischer Geist sich für die Veranstalter als Bumerang erweist: Tiger nämlich gibt es nur in Asien. Esel dafür, die vor der Wirklichkeit die Augen verschließen, in Deutschland umso mehr. Micha Schulze

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