: IG Metall: Nicht nur SEL geht
■ Gewerkschaft warnt vor Abwanderung weiterer Großunternehmen aus der Hauptstadt/ Auch Siemens-, AEG- und Nixdorf-Arbeitsplätze in Gefahr/ Schwere Vorwürfe wegen jahrelangen Mißbrauchs der Berlinförderung wurden laut
Tempelhof. Nicht nur die Standard Elektrik Lorenz AG (SEL), sondern auch andere Großunternehmen werden sich bald aus Berlin zurückziehen. Das zumindest glaubt die IG Metall zu wissen. Ihr Bezirksbevollmächtigter Manfred Foede kündigte an, daß die Gewerkschaft in der nächsten Woche »erschreckende Zahlen« zum Arbeitsplatzabbau vorlegen wird. Betroffen seien u.a. die Beschäftigten der Unternehmen AEG, Siemens, Nixdorf, Solex und Video 2000. Bei der AEG in Marienfelde finden seit Wochen Mahnwachen gegen die befürchtete Arbeitsplatzvernichtung statt. Es hat sich gezeigt, erklärte Foede gestern, wie ausufernd die Berlinförderungen als purer »Mitnahmeeffekt« mißbraucht worden seien. Statt die Berlinsubventionen in Millionenhöhe in eine standortsichernde Produktion zu stecken, hätten die Unternehmer damit lediglich »schwarze Zahlen geschrieben«.
Die SEL, sagte Foede, nutze die »Streichung der Berlinförderung für die Vernichtung von Arbeitsplätzen und ihren Rückzug aus Berlin«. Das sei »berlinfeindlich«, und deshalb müsse das Problem auf eine »politische Ebene« gehoben werden. Morgen um 11 Uhr wolle die Gewerkschaft über SEL und die Arbeitsmarktperspektiven in der Stadt mit Bürgermeister Diepgen sprechen. Zum Rathaus begleitet werden die Betriebsräte und Gewerkschafter von betroffenen Kollegen aus beiden Teilen der Stadt.
Betriebsratsmitglied Mamoris geht in seiner Kritik sogar noch weiter: Die SEL habe mit der Berlinförderung nicht nur ihre Bilanz aufgebessert, sondern auch die Verluste von westdeutschen Unternehmen ausgeglichen — also illegale Geschäfte betrieben. So ähnlich haben es gestern auch die Beschäftigten von SEL in Tempelhof gesehen. Fast die gesamte Frühschicht von über 1.000 Leuten war auf den Beinen, um dem aus Stuttgart ins Tempelhofer Werk eingeflogenen SEL-Arbeitsdirektor Fritsche einen bösen Empfang zu bereiten. »Der Vorstand muß weg« oder »Hände weg von Berlin« stand auf den Transparenten. Der Arbeitsdirektor kniff: Nicht er, sondern Betriebsratsmitglieder und Gewerkschafter von IG Metall und DAG informierten die aufgebrachte Belegschaft über die Details zur Schließung des Produktionsstandortes Berlin. Noch vor wenigen Monaten, sagte Gesamtbetriebsratsvorsitzende Eller, hätte der SEL-Vorstandsvorsitzende Zeidler Berlin als »Standort mit Zukunft« gelobt, jetzt, mit dem Abbau der Berlinförderung, werde vom Gegenteil, von einem »Standortnachteil« geredet und danach gehandelt.
Der Arbeitsplatzabbau in Berlin sei weitaus größer als vom Vorstand angegeben, sagte Foede. Nicht, wie die Stuttgarter behaupten, 1.200, sondern 2.700 Arbeitsplätze in Gesamt-Berlin werden »vernichtet«. Die größten Verlierer in Ost- und West-Berlin seien die Frauen, sagte Mamoris. 50 Prozent von ihnen arbeiten als An- oder Ungelernte in der direkten Produktion. aku
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