: Kohl drängt auf schnelle Privatisierung
■ Gesetzentwurf zur Privatisierung/ Alte Länder sollen mehr zahlen/ FDP fordert Vorauszahlung
Bonn (dpa/ap) — Kanzler Kohl hat eine schnellere Privatisierung der ehemals volkseigenen DDR-Betriebe angekündigt. Die Regierung werde dazu an diesem Mittwoch einen Gesetzentwurf vorlegen, sagte er am Montag beim fünften Kanzlergespräch über die Wirtschaftslage in Ostdeutschland, an dem etwa 40 Spitzenvertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaften und auch die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer teilnahmen.
Die alten Bundesländer forderte der Kanzler auf, sich personell und finanziell stärker am Aufbau der neuen Länder zu beteiligen. Auch die westdeutschen Städte und Gemeinden müßten „mehr tun als bisher“. Die Tarifparteien rief er dazu auf, bei ihren Lohn- und Gehaltsrunden mehr Gewicht auf Erfolgsbeteiligungen und die Vermögensbildung zu legen. Die beabsichtigten Steuererhöhungen begründete er ausschließlich mit den gewachsenen internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik.
FDP-Chef Lambsdorff forderte Kohl auf, den neuen Bundesländern aus den voraussichtlichen Steuermehreinnahmen durch die deutsche Einheit einen Vorschuß in Höhe von mehreren Milliarden Mark zu geben. Nach einer FDP-Präsidiumssitzung sagte Lambsdorff, jetzt sei eine rasche Akontozahlung nötig, die zum Teil an die Gemeinden weitergegeben werden müsse. Kohl und die Ministerpräsidenten der alten Länder könnten sich hinterher darüber einigen, wer das Geld zahle. Aufgaben in Westdeutschland müßten erst einmal zurückgestellt werden. Der FDP- Chef kritisierte außerdem, daß die ostdeutschen Kommunen nicht bereit seien, sich zu verschulden. „Nehmt Kredite auf“, forderte er die Gemeinden auf. „In Konkurs werdet ihr nicht gehen.“
Die SPD warf dem Bundeskanzler vor, er weiche seiner Gesamtverantwortung für die Entwicklung in den fünf neuen Bundesländern aus. „Die Bundespolitik tut nichts und verschiebt alle Probleme auf die Länder und auf die Tarifpartner“, sagte SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs am Montag vor Journalisten in Bonn. Der SPD-Vorstand fordere angesichts dramatischer Berichte über die Lage in der Wirtschaft und den Verwaltungen im Osten jetzt „handfeste Hilfe“. Sie habe sich gewundert, „wie schnell die Milliarden für den Krieg da waren und wie wenig für den Aufbau in den neuen Ländern“.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), Hans Peter Stihl, drängte auf den schnellen Aufbau der Verwaltungen in Ostdeutschland. Funktionierende Gemeindeverwaltungen und Landesregierungen seien „derzeit wichtiger als fünf Kilometer neue Autobahn“, sagte Stihl.
Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann erklärte, in den neuen Bundesländern spitzten sich die Beschäftigungsprobleme jetzt zu. Ein Abbau der Belegschaften sei „jetzt unvermeidlich“, damit die Unternehmen lebensfähig würden. Es sei nicht mehr richtig, Beschäftigungsverhältnisse durch Kurzarbeit zu verlängern. Murmann forderte außerdem Änderungen im Kündigungsrecht, um Betriebsübernahmen zu erleichtern.
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