„Ich bin mir keiner Schuld bewußt“

Die hessische Firma Havert, die Teile für das irakische Raketenprojekt 1728 geliefert hat, trat die Flucht nach vorne an/ Geschäftsführer gab sich auf einer Pressekonferenz „völlig ahnungslos“/ „Ein Verteidigungsministerium braucht zivle Dinge“  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Gerhard Paul ist Geschäftsführer der Havert Handelsgesellschaft und der Havert Consulting and Engineering GmbH im südhessischen Neu-Isenburg. Und wenn am Abend die irakischen „Scud“-Raketen auf Tel Aviv oder Haifa niedergehen, sitzt der smarte Geschäftsführer „mit ruhigem Gewissen“ (O-Ton Paul) vor dem Bildschirm, obgleich seine Firma jahrelang Teile für das irakische Raketenprojekt 144/5 und für das spezielle „Scud“-Programm 1728 geliefert hat, und — nach Informationen aus dem Umfeld der Staatsanwaltschaft Darmstadt — selbst noch das von der UNO verhängte Embargo durchbrochen haben soll.

„Ich bin mir keiner Schuld bewußt“, erklärte Paul gestern auf einer Pressekonferenz im Isabella-Hotel in Neu-Isenburg. In der Firma Havert, so Paul, habe nämlich kein Mensch gewußt, daß das Projekt 1728 das „Scud“-Raketenumbauprogramm des irakischen Verteidigungsministeriums war, mit dem die Kurzstreckenraketen in die Lage versetzt wurden, bis Israel zu fliegen. Und daß der Havert „Geschäftspartner“ Nassr-State-Enterprise direkt aus dem Verteidigungsministerium des Iraks heraus gesteuert wurde und wird, war dem Geschäftsführer der Havert gleichfalls „bis heute unbekannt“. Dabei war Paul vor der Gründung seiner eigenen Firma im Jahre 1981 zehn Jahre lang für den Salzgitter-Konzern als Berater für Anlagenbau im Irak tätig. Und auch Havert machte fast ausschließlich mit dem Irak Geschäfte. Paul: „Unterstellt, ich hätte damals schon gewußt, daß Nassr unter der Kontrolle des irakischen Verteidigungsministeriums steht, hätte ich meine eindeutig nichtmilitärischen Komponenten an Nassr geliefert. Auch ein Verteidigungsministerium braucht nicht ausschließlich Kriegsgerät.“

Um die „Harmlosigkeit“ der in den Irak gelieferten Materialien zu demonstrieren, hatte Havert im Konferenzraum „Verdi“ des Hotels einen Gabentisch bereitet, auf dem eine Stahlfeder und mehrere hufeisenähnliche Gelenkstücke in Reih und Glied aufgestellt waren.

Daß die Gelenkstücke vom Irak als Bombenaufhänger genutzt wurden, und daß diese Aufhänger exakt so gekrümmt waren, daß sie auf die gleichfalls von Havert gelieferten Stahlrohre — den Bombenmantel — paßten, war für Paul auch kein Beweis dafür, daß Havert etwa Bombenabwurfmechanismen in den Irak geliefert habe. Von einem Exporteur könne man doch nicht erwarten, daß er seinen Kunden frage, wofür er eine Schraube oder ein Gelenkstück brauche.

Auch daß die Firma Havert im Rahmen des gesamten irakischen Raketenprogramms 144/5 „bis zum Embargo“ (Paul) noch Stahl- und Holzteile, Kabel, Schläuche und Ventile lieferte, bestritt Paul nicht. Doch richtige „Raketenteile“ seien von seiner Firma nie nach Bagdad verbracht worden. Lediglich ein „freier Mitarbeiter“ von Havert, Hesse-Camozzi, habe Anfang 1988 eine Anfrage nach der Lieferung von spezifizierten Ventilen weitergegeben. „Harmlose Ventile“ für das „uns damals nicht bekannte Projekt 144/5“ habe man besorgen sollen, doch sei das Geschäft wegen der ständig gestiegenen Belastbarkeitsanforderungen der irakischen Partner an das Material und die Funktionstüchtigkeit dann nicht zustande gekommen. Während der Vorverhandlungen sei von den Irakern nie von Raketentriebwerken gesprochen worden — und über die hohen Anforderungen habe man sich weder bei Havert noch bei Chemat Gedanken gemacht. Keine Gedanken hat sich die Geschäftsführung von Havert auch bei der Lieferung von Druckluftstationen an den Irak gemacht. Die heute in der Rüstungsindustrie eingesetzten Druckluftstationen seien für Hochdruck-Reinigungsanlagen für die Erdölindustrie bestellt worden. Als Paul nach knapp zwei Stunden begann, Presseschelte zu betreiben und den Medienvertretern vorwarf, „ohne Beweise“ seine Firma öffentlich angeklagt zu haben, war das Maß dessen, was die JournalistInnen an selbstgerechter Chuzpe eines deutschen Unternehmers ertragen konnten, überschritten.