: Lochkonstruktionen im Heimatbild
■ »Heimat« — ein Ausstellungsprojekt der Galerie von Wewerka & Weiss an drei verschiedenen Orten
Folgt der Welle der neuen Heimatfilme nun die Heimatkunst? Die Galerie Wewerka & Weiss hat zwölf Künstler ausgesucht, die sich mit ästhetischen Konzepten um Bedeutung und Tauglichkeit des Heimat-Begriffs bemühen. Die Künstler aus Belgien, den USA, Jugoslawien, Chile, Japan, Frankreich, der UdSSR und der Bundesrepublik versuchen dabei nicht, mit Lokalkolorit nationale Identitäten auszupinseln und gegen internationalistische Anonymität auszuspielen. Nicht um kultische Beschwörung oder die Vermittlung eigener Heimatfühligkeit geht es, sondern um die Konstruktion dessen, was Heimat genannt wird.
Ausgangspunkt des Projekts sind 3 Compositions Trouvées von Guillaume Bijls, die »Heimat« als kunstgewerbliches Arrangement aus einem Warenhaus anbieten. »Kreuze«: Kruzifixe, in »Handarbeit echt Bronze« ausgeführt, hängen wie Schlüsselanhänger oder Schneebesen an einem Lochbrett. Das Heimatstück vereinigt in Lederhose, Pendeluhr, alten Latschen, Landschaftsbild und Wetterstation die Grundausstattung eines Voralpen-Ferienheims, die Insignien der Naturverbundenheit. Von der emotionalen Bindung an einen Ort ist nur noch die äußere, käufliche Inszenierung übriggeblieben.
Von der »Heimat« läßt sich kaum im Plural reden. Aus meiner und deiner Heimat läßt der Sprachgebrauch als Synthese nur »unsere Heimat« zu: von zwei einander fremden Heimaten zu reden klingt dagegen absurd. Der Begriff behauptet ausschließliche Gültigkeit. Andere Heimaten als die eigene existieren nicht für das Subjekt.
Ebenso wie für Bijl ist auch für die belgische Künstlerin Marie-Jo Lafontaine »Heimat« ein deutsches Konstrukt. Sie erlebt den Begriff noch immer als Teil nationalsozialistischer Ideologie, getragen vom falschen Pathos. Mit bronzenen Buchstaben schreibt sie »Blut und Boden« auf schwarze und rote Bretter: aus der Beschwörungsformel der Heimatverbundenheit ist die Grabinschrift eines Totenkults geworden. Auch Katharina Karrenberg bezieht sich auf das nationalsozialistische Vokabular, allerdings mit einer vieldeutigen Wendung: sie bohrt den Schriftzug »völker ohne räume« in die Wand. In den Plural gesetzt, verändert sich die den Krieg legitimierende Parole und läßt sich auf die Verluste sozialer Orte und kultureller Identitäten der heutigen Zeit beziehen. Der Putz, der aschenrot aus den ausgefransten Löchern rieselt, illustriert en detail die Zerstörung von Geborgenheit, deren soziale und historische Ursachen in eben jene Zeit der Heimatpropaganda zurückreichen.
Die Heimat weiß am besten zu schildern, wer sie verloren hat. Diese romantische Figur, die jede Reise als eine Geschichte von Verlust und Wiedergewinnung des Ursprungs erzählen läßt, ist längst zur sentimentalen Attitüde verkommen. Ex negativo nähern sich auch die beiden amerikanischen Künstler Andres Serrano und David Hammons dem Komplex an und widmen ihre Kunst den Berbern der Stadt. Denn während für die Emotionen der nationalen Heimatlosen ein Vorrat an ästhetischen Figuren existiert, ist der Obdachlose noch nicht unter die Kunstfiguren aufgenommen. Serrano porträtiert in großen Cibachromen »Nomaden«: er fotografiert Bertha, deren Kinderaugen nicht das Alter ihres zerschrammten Gesichts schätzen lassen. Ihre abgewetzte türkisfarbene Cordjacke und ihr roter Turban leuchten in der polarisierenden Farbigkeit der Werbefotografie. Doch die Monumentalisierung der Armut am Ort der Illusion von käuflicher Sicherheit und Glück wirkt schon fast zynisch. Weniger vom Dreck und der Armseligkeit gereinigt und dennoch weder voyeuristisch noch denunziatorisch mutet dagegen der Schnarchsack an, den Hammons gemeinsam mit der Italienerin Bruna Exposita als Reaktion auf die jetzige Berliner Situation entworfen hat. In der Ecke eines verdunkelten und sonst leeren Zimmers lagert eine angeschmutzte, mit alten Krawatten verschnürte Matratze, aus der leise ein Schnarchkonzert rieselt. Heimat finden die auf die Straße Gesetzten höchstens im Traum.
Von der neuen Heimatlosigkeit der Ostberliner, deren Stadt ihr vertrautes Ansehen verliert, wollte Alfredo Jaar in seiner Foto-Installation in der »Galerie vier«, in der W & W zu Gast ist, erzählen. Doch sein The way it was ist etwas dürftig ausgefallen: Um der Veränderung ein Schnippchen zu schlagen, ersetzte er den realen Blick aus dem Fenster durch Fotos in Leuchtkästen, die den Zustand von vor wenigen Wochen festhalten. Bisher aber läßt sich kaum eine Wandlung feststellen. Meine Enttäuschung über den ausgebliebenen Verlust ist ein (unbeabsichtigt?) perverser Nebeneffekt.
Schon in den siebziger Jahren begann der jugoslawische Künstler Braco Dimitrijevic städtische Orte über ihre Menschen und die zufälligen Begegnungen zu definieren. Er entriß der Anonymität Gesichter, die er als große Porträtfotos, betitelt Zufälliger Passant, den ich um 16.30 Uhr traf, an den Fassaden öffentlicher Gebäude in Zagreb, Venedig oder Berlin ausstellte. Leider ist die Dokumentation dieser Arbeit, die den alten Heimatbegriff überflüssig machte, etwas spärlich geraten.
Die schönste und komischste Geschichte über das, was Heimat sein kann, hat Ilja Kabakov in Meine Heimat (Die Fliegen), einer schwebenden Skulptur mit begleitendem Text und Schaubildern erfunden. An Fäden hängende Fliegen, die die Form einer russischen Kuppel und eines konstruktivistischen Turms nachbilden, werden im Text als wissenschaftliche Modelle der Zivilisation »F« bezeichnet.
Heimat, so lehrt das hierarchisch gestaffelte Fliegenmodell, kann nur durch Leitungsgruppen, Bodenkontrolle, Informationssammlungen und Überwachungen gesichert werden. Den Sinn des Ganzen ahnt vielleicht die Fliegenspitze, die sich sechzig Kilometer über dem Erdboden befindet; der Rest folgt seinem genetischen Code, der in der Hierarchie der Fliegen jeder ihre Heimatposition bestimmt.
Kabakov parodiert mit dem Fliegenmodell eine wissenschaftliche Argumentationsweise, deren Wahnsinn in ihm heimatliche Gefühle weckt. Im Begleittext »Meine Heimat« wagt eine Informationsabteilung U.B.S. der Akademie der Wissenschaften der UdSSR vor dem Hintergrund einer »andauernden Depressivität in gewissen Regionen (Zentralrußland und Transural)« die Frage, ob »die F auf eine ganz bestimmte destruktive Art und Weise auf den gesamten anthropologischen Komplex Einfluß hat, indem sie ökonomische Strukturen und Verflechtungen in dieser Region zerstört«.
Katrin Bettina Müller
Heimat , Ausstellungsprojekt an drei Orten: — Ilja Kabakov, Wladimir Kuprijanov, Marie-Jo Lafontaine, Kazuo Katase: Wewerka & Weiss Galerie, Pariser Straße 63, bis 23. März, Di.-Fr. 10-13 Uhr, 15-18.30 Uhr, Sa. 11-14 Uhr. — Guillaume Bijl, Rainer Görß, David Hammons, Sarkis, Andres Serrano: Wewerka & Weiss Galerie, Potsdamer Straße 93, bis 16. März, Di.-Fr. 15-18.30 Uhr, Sa. 11-14 Uhr. — Alfredo Jaar, Katharina Karrenberg, Braco Dimitrijevic: Wewerka & Weiss Galerie zu Gast in der Galerie vier, Wilhelm-Pieck- Straße 25, bis 2. März, Di. u. Mi. 15-19 Uhr, Do. 17-21 Uhr, Sa. 11-14 Uhr.
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