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Die Kritik am Golfkrieg einigt die Algerier

Unterschiedliche Nuancen und innenpolitische Kalküle bei den verschiedenen Gruppen und Parteien/ Die Unterstützung für die irakische Bevölkerung hat viele Gründe/ Neue Erfahrungen mit der Pressefreiheit/ Für Waffenstillstand und arabische Lösung  ■ Aus Algier Brahim Brahimi

„Ich bin gegen Gewalt und auch dagegen, daß sich Menschen gegenseitig töten. Ich achte das menschliche Leben, die Tiere und Pflanzen. Mir leuchtet keine Legitimation für eine Rettungsaktion ein, die den Tod bewirkt.“ Dieser Satz des Schriftstellers Tahar Quettar, veröffentlicht in 'Horizons‘, der größten Tageszeitung Algeriens, drückt den in der algerischen Bevölkerung sehr weit verbreiteten Wunsch nach Beendigung des Krieges aus. Gezeichnet von der Geschichte des Befreiungskrieges, der zwischen 1954 und 1962 mehr als eine Million Tote forderte, weiß man in Algerien, was Krieg bedeutet. Dies gilt, obwohl Algerien nationale Befreiungsbewegungen stets so eindeutig unterstützt hat, daß Algier als das Mekka der Befreiungsbewegung bezeichnet wurde.

Die Außenpolitik Algeriens bewies in dieser Hinsicht unter allen Regierungschefs von Ben Bella über Boumedienne bis hin zu Chadli eine eindeutige Kontinuität. Selbst klandestine Oppositionsgruppen verfochten ähnliche, wenn nicht dieselben außenpolitischen Prinzipien. Ist dieser Konsens nach Ausbruch des Golfkrieges in Gefahr?

Der Gedanke liegt nahe, daß die „Islamische Rettungsfront“ (FIS), die die Kandidaten anderer Parteien bei den Kommunalwahlen im Juni 1990 vernichtend geschlagen hatte, die saudische Politik unterstützt: erstens, weil sich Saddam Hussein immer eindeutig zum Laizismus bekannt hat, der von allen islamischen Bewegungen vehement bekämpft wird; zweitens, weil die Saudis die islamischen Bewegungen der ganzen arabischen Welt finanziert haben — auch wenn ihre Führer in Algerien solche Beziehungen immer leugneten.

Verteidigung der nationalen Souveränität

Doch auch die islamischen Parteien unterstützen Saddam Hussein. Ist das reine Wahlkampftaktik, der Stimmung auf der Straße nachzugeben, die seit den ersten Bombardements das irakische Volk unterstützt? Der tiefere Grund liegt in der Achtung, die das algerische Volk vor der nationalen Souveränität besitzt. Die konkrete Ausformung der Baath-Ideologie, die Innenpolitik Saddams, tritt hinter diesen Aspekt der nationalen Souveränität eines arabischen Landes zurück.

Und die Souveränität Kuwaits?

Bis auf ein, zwei Gruppen haben alle wichtigen Parteien und die Regierung die irakische Besetzung Kuwaits verurteilt. Doch muß der Konflikt ihrer Meinung nach unter den Arabern gelöst werden. Sobald sich ausländische Truppen in Saudi-Arabien einmischten, wurde diese Präsenz der Amerikaner verurteilt.

Sicherlich wollen die islamischen Parteien die Leute auf der Straße glauben lassen, es handele sich um einen religiösen Kreuzzug des Westens gegen die arabisch-islamische Zivilisation — als ob Saudi-Arabien nicht auch zur arabischen Welt gehörte. Solche Thesen basieren nicht auf einer ernsthaften Analyse. Doch sie reichen, um die Anhänger der islamischen Bewegungen zu beeinflussen und die Regierenden zu beunruhigen. Mit Blick auf die Parlamentswahlen, die in den nächsten Monaten stattfinden sollen, reizen einige Parteien bewußt hoch und fordern etwa die militärische Ausbildung von Freiwilligen für den Irak. Gleichzeitig behaupten sie, über eine Million Menschen dafür mobilisieren zu können. Staatschef Chadli warnte eine Woche nach Beginn der Angriffe gegen den Irak die Führer islamischer Parteien — ohne sie namentlich zu nennen — vor einer „Demagogie im Namen des arabischen Nationalismus und des Islams“.

Dabei muß man erwähnen, daß die algerische Regierung es trotz ihrer sehr regen diplomatischen Initiativen nicht geschafft hat, ihre Position zum Golfkrieg in der Bevölkerung verständlich zu machen. Die Menschen in Algerien beginnen gerade erst, den Medien Vertrauen zu schenken. Bis vor zwei Jahren gab es in Algerien mit seinen 25 Millionen Einwohnern gerade sechs Tageszeitungen, einen Rundfunksender, einen Fernsehkanal und einige Zeitschriften. Die bis dahin herrschende Einheitspartei hatte die Presse erstickt, indem sie Bürokraten mit ihrer Leitung betraute, die Artikel wie Leserbriefe gleichermaßen zensierten. Die kritischen Intellektuellen durften sich nicht zu Wort melden.

Vergleiche mit den westlichen Medien

Seit 1989 wurden viele neue Zeitungen gegründet, und die Zensur ist praktisch verschwunden. Sogar das Fernsehen, früher fest im Griff der Staatsfunktionäre, sendet jetzt Live- Sendungen. Seit Beginn des Golfkrieges stellen die Algerier fest, daß auch die Informationen in den westlichen Ländern manipuliert sind. Diejenigen, die auf ihren Dächern Parabolantennen zum Empfang europäischer Satellitenprogramme besitzen, haben gesehen, daß das algerische Fernsehen durchaus auch ein positives Gegengewicht zu den europäischen Sendern sein kann, vor allem, wenn es die verschiedenen politischen Gruppierungen und unabhängige Intellektuelle zu Wort kommen läßt.

Das ist eine der positiven Auswirkungen des Golfkrieges, auch wenn es sich dabei natürlich nur um einen Nebenaspekt handelt. Wichtiger ist wohl die Tatsache, daß die weitaus meisten Algerier sich nicht von den Aufrufen zum „Heiligen Krieg“ haben beeindrucken lassen. Sicherlich hätten einige Demonstranten am liebsten die Botschaften der USA, Saudi-Arabiens, Ägyptens und Frankreichs besetzt, aber die meisten Parolen auf den bisherigen Demonstrationen fordern „Frieden im Golf“, „Ein freier und demokratischer Irak“, „Solidarität mit dem irakischen Volk“, „Befreiung Palästinas“ und sprechen sich aus „Für eine Beendigung des Krieges ohne Kapitulation“.

Warum wird das irakische Volk in Algerien so einhellig unterstützt?

Die Algerier verbinden die USA nicht nur mit mehreren Niederlagen der arabischen Welt — 1948, 1956, 1967, um nur einige zu nennen —, sondern auch mit dem Krieg in Vietnam, dem Sturz Allendes sowie den Interventionen in Panama und Grenada. Außerdem wird immer klarer, daß vom enormem Reichtum der arabischen Länder vor allem einige wenige Familien in den Golfstaaten profitieren, während die große Mehrheit der arabischen Massen in Armut und Unkenntnis lebt.

Jedenfalls hat der Wahabbiten- Clan Saudi-Arabiens, der in der Regierungspresse und von den islamischen Parteien bisher als der Hüter der heiligen Stätten des Islams anerkannt wurde, jegliche Glaubwürdigkeit für die Bevölkerung Algeriens verloren. Die Scheichs der Golfstaaten werden heute als die Lakaien des amerikanischen Imperialismus angesehen, Saddam Hussein dagegen, der bisher nur als ein autoritärer Führer neben anderen galt, wird von einigen mit Nasser verglichen.

Man darf nie vergessen, daß seit der Gründung Israels im Jahre 1948 die Würde der Araber mit Füßen getreten wird. Es geht nicht mehr darum, die Existenz des Staates Israel in Frage zu stellen, aber darum, daß dieser Staat gezwungen werden muß, Verhandlungen mit den Palästinensern zu führen und die seit 1967 besetzten Gebiete wieder freizugeben. Als Saddam Hussein die Verbindung zwischen Golfkrise und Palästinaproblem betonte, wußte er, daß die Besetzung Kuwaits demgegenüber in der öffentlichen Meinung der arabischen Welt als zweitrangig angesehen würde.

Darin hat er sich nicht getäuscht. In Algerien urteilen jetzt bereits viele, daß Saddam Hussein die Schlacht politisch bereits gewonnen hat. Deswegen sind sich Regierung und die große Mehrheit aller Algerier darin einig, daß um jeden Preis eine Verhandlungslösung für den Golfkonflikt gefunden werden muß.

Der Autor ist Dozent an der Universität von Algier.

Übersetzung: Thomas Hartmann/

Maghreb- und Nahost-Agentur

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