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Orientalische Tribüne

■ "Jetzt wollen uns wieder alle töten"

Rebekka Voliza wurde in Österreich geboren, lebte ab 1949 in Israel, kam vor 13 Jahren nach Deutschland und ist seit sechs Jahren Bremerin. Elvira Noa gehört dem Vorstand der Israelitischen Gemeinde in Bremen an.

taz: In Israel schlagen jetzt immer wieder irakische Raketen ein, aber es folgt kein Gegenschlag. Finden Sie das richtig?

Rebekka Voliza: Ja, man muß ja weiterdenken. Wir können jetzt keinen Gegenschlag machen, ohne daß die Aliierten ihr o.k. geben, denn die führen ja hauptsächlich den Krieg.

Sind Sie auch für deutsche Waffenlieferungen an Israel?

Rebekka Voliza: Die Waffen sind nicht die Hauptsache. Es ist viel wichtiger, daß man hier endlich die israelische Seite versteht, daß man uns nicht ewig als Sündenbock sieht. Mit einem Mal haben die Leute plötzlich festgestellt: Es gibt Israel, es gibt auch die andere Seite von Israel.

Welche andere Seite?

Elvira Noa: Daß dieses Land nicht von Natur aus, wie man es hier oft in der linken Szene propagiert, ein aggressives Land ist, das die ganze arabische Umgebung mit Krieg überziehen will. Israel ist entstanden aufgrund einer europäischen Katastrophe, die letztlich im deutschen Holocaust gegipfelt ist, die aber schon viel länger gedauert hatte — jahrhundertelange Verfolgungen und erzwungene Wanderungen der Juden durch ganz Europa bis schließlich ein paar jüdische Gruppierungen ihr Nationalbewußtsein betont und dafür gekämpft haben: für das, was man Zionismus nennt, und was man heute leider oft mit Rassismus gleichstellt.

Das ist eine legale und notwendige Entwicklung gewesen. Israel hat 1948 seine Unabhängigkeit erklärt und akzeptiert, daß es auf ein kleines Gebiet beschränkt ist, mit einer ganz kleinen jüdischen Bevölkerung gegen eine unglaubliche Übermacht von arabischer Bevölkerung. Die Araber haben das nicht akzeptiert, sie haben Israel sofort mit Krieg überfallen. Und die nächsten 40 Jahre sind die Kriegsursachen die gleichen gewesen: nämlich daß die arabischen Länder nicht akzeptiert haben, daß Israel existiert und lebt. Israel will diesen Krieg nicht, er ist aber einfach notwendig.

Rebekka Voliza: Jüdische Bevölkerung gab es auch vor 1948 in Israel...

...Palästina...

Rebekka Voliza: Nein, ich sage nicht Palästina.

Elvira Noa: Das Wort Palästina gab es unter dem Römern als Negativ-Wertung und ist später erst im 20. Jahrhundert innerhalb des britischen Mandatsgebiets entstanden. Und die palästinensische Nationalbewegung ist erst drei Jahre vor dem 6-Tage-Krieg entstanden. Palästina gab es nicht als Identifikation der arabischen Bevölkerung. Natürlich ist das ein Gebiet gewesen, in dem nie keine Juden gewohnt haben.

Rebekka Voliza: Wir sind nicht auf einmal nach dem Holocaust nach Israel gekommen. Die Juden haben schon Anfang des Jahrhunderts angefangen, dort hinzugehen. Und die Araber haben immer Massaker gemacht: 1928, 1939 und viel, viel vorher.

Man sieht uns immer als die Soldaten und die Schlechten. Aber wir haben nicht diesen Luxus, zu sagen: Es gibt einen Krieg, und keiner kommt. Wenn ich so etwas sage, kann ich meinen Totenschein sofort ausstellen. Ich habe keine andere Wahl, ich muß da bleiben. Das ist mein Staat. Dort bin ich großgeworden.

Ich habe leider schon sehr viele Kriege mitgemacht. Und immer, wenn ein Kind geboren wird, gibt es den Wunsch, daß er nicht zur Armee muß. Es ist unglaublich, sowas zu sagen, aber wir haben keine andere Wahl.

Glauben Sie, daß sich das einmal ändern wird nach diesem Krieg?

Rebekka Voliza: Ich hoffe.

Gibt es für die Hoffnung einen Anlaß?

Rebekka Voliza: Ich glaube nicht. Dieser Krieg hat bei den Arabern sehr viel Stolz mitgebracht. Wir haben bisher alle Kriege gewonnen — militärisch gesehen, aber nicht politisch. Nach dem 6-Tage-Krieg hat Golda Meir gesagt, wir möchten mit den Arabern diskutieren und Frieden schließen. Wir geben alles zurück. Aber niemand wollte mit uns sprechen, weil die Ehre verletzt worden ist. Das ist eine andere Mentalität. Ich bin eigentlich ganz hilflos. Ich will Frieden haben, niemand will Krieg.

Viele Araber sagen: Auch wir sind für Frieden, aber Israel ist schon seit 40 Jahren im Krieg mit uns. Und im Krieg ist es normal, daß geschossen wird. Jetzt fallen das erste Mal Raketen auch auf Israel, das finden wir eigentlich gut...

Rebekka Voliza: Wir haben immer gemerkt und gespürt, was Krieg bedeutet. Dafür muß keine Bombe auf Israel fallen. Sobald ein Soldat fällt, ist das für mich, wie wenn ein Haus unter der Scud-Rakete zusammenfällt. Das ist das gleiche Gefühl.

Elvira Noa: Israel ist 40 Jahre alt, und die Leute, die den Holocaust überlebt haben, die leben noch. Und auch wir haben das noch lange nicht überlebt und vergessen. Ich kann das auch von mir sagen, obwohl ich hauptsächlich in Deutschland aufgewachsen bin und meine Eltern durch diese Katastrophe gegangen sind: Diese Angst, wieder vernichtet zu werden, steckt in uns so tief drin. Das ist auch der Grund — jeder Mensch würde das machen — dafür, daß Israel sich bis an die Zähne bewaffnet. Zum ersten Mal seit 2.000 Jahren sind sie fähig, sich zu wehren und dürfen sie sich wehren. Gerade haben wirs geschafft, gerade haben wir das Rettungsseil gefunden, und jetzt kommen wieder alle, und wollen uns töten. Da kommt das Gefühl her: Wenn einer umkommt, ist schon wieder die ganze innere seelische Katastrophe vorhanden.

Fragen: Dirk Asendorpf

Der zweite Teil dieses Gesprächs erscheint morgen an gleicher Stelle.

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