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»Zur Zusammenarbeit verdammt«

■ In der Humboldt-Universität diskutierten Senator und Wissenschaftler Pro und Contra der Abwicklung/ Einzelfallprüfung zur Aufarbeitung der Vergangenheit von der Mehrheit gefordert

Mitte. Am Ende der Diskussion um die Abwicklung ging der neue Wissenschaftssenator Manfred Erhardt wie ein Verlierer vom Podium des Senatssaales der Humboldt-Universität. Die Ost- und West-Wissenschaftler nickten sich wie nach einer gewonnenen Schlacht gegen die Abwicklung zufrieden zu. Was dieser Wortsieg ihnen nutzt, wenn die Gesetze sprechen, wird sich in Zukunft zeigen. In der Debatte »Vertrauen in die Abwicklung?«, zu der die »Perspektive Berlin« eingeladen hatte, waren sich zwar alle einig über die notwendige Reform der Humboldt- Uni, aber nicht über das Verfahren. Wer über Abwicklung rede, ließ der Senator wissen, müsse auch über die »Verstrickungen der einzelnen Wissenschaften in ein Unrechtssystem« reden. Doch genau das will er nicht. Denn seine Schlußfolgerung lautete: Das Durchleuchten jedes Wissenschaftlers hätte etwas von »Strafcharakter«. Die Abwicklung sei deshalb fairer, weil sie alle Professoren in die Warteschleife schicke und jedem die gleiche Chance zur Neubewerbung gebe.

Die sahen die meisten der anwesenden Akademiker allerdings nicht, denn sie haben gegenüber West-Wissenschaftlern immer die schlechteren Karten in der Hand. Erst recht, wenn wie der Senator berichtete, jedes seiner Glückwunschschreiben ein Angebot enthielte. Außerdem, war vom Senator zu erfahren, sei die Humboldt-Universität kein Institut zur Verhinderung von Professorenarbeitslosigkeit. Was zählt, sei Leistung nach den »internationalen Maßstäben der Sientific Community«, sprach der Senator und mußte sich nach seiner Rede eisige Stille gefallenlassen.

Gegenspieler Heinrich Fink, Rektor der Humboldt-Universität, plädierte für die radikale Einzelfallprüfung aller Uni-Mitarbeiter. Für niemanden sei die ideologische Belastung der fünf geisteswissenschaftlichen Fachbereiche ein Argument für deren Abwicklung. Denn die gesamte Universität sei obrigkeitshörig und staatstragend gewesen. Jetzt würde der begonnene Demokratisierungsprozeß abgeschnitten, klagt der Rektor und an den Senator gewandt: »Wir haben mit Veränderungen schon begonnen, bevor uns der Senat zu Kenntnis nahm.«

Daß nach der Abwicklung über die Verstrickungen des Einzelnen in das frühere Unrechtssystem nicht mehr die Rede sein wird, befürchteten die meisten. Der Erziehungswissenschaftler Peter Hübner hält dem Senator entgegen, daß so »die Vergangenheit verdrängt und die Folgen nicht berührt werden«. Hier müsse mit den Mitteln der Wissenschaft, nicht mit denen der Politik korrigiert werden. Das erfordere einen Diskurs, den man nicht nur von außen führen kann. Überhaupt wollte sich niemand von den Westlern die Richterrolle über das moralische Verhalten der Ost-Wissenschaftler anmaßen. Die Westler gingen mit den Ostlern um, so die FU-Philisophin von Brentano, als seien »wir die Subjekte und sie die Objekte«.

Auch wenn die FU, so ihr Rektor Werner Väth zunehmend schlechte Nachrichten aus der Humboldt-Uni entgegennehmen mußte, fordert das eingeleitete Verfahren zur Kritik heraus, weil »eine Entscheidung über eine Uni immer Konsequenzen für die anderen hat«. Es klang wie eine Warnung, daß dieser neue Umgang der Politik mit der Wissenschaft nicht auf die Ost-Universitäten beschränkt bleiben muß.

Wie in den Zeiten der runden Tische, gingen aus dem Publikum Vorschläge an den Senator, sich die Situation der einzelnen Fachbereiche anzusehen und erst danach über die weitere Verfahrensweise zu entscheiden. Doch die Zeiten, in denen Gesetze umgestoßen werden konnten, sind lange vorbei. Deshalb wird Manfred Erhardt nicht der Verlierer bleiben. Nur eins kann er nicht verhindern, wie es Fink deutlich ausdrückte: »Wir sind zur Zusammenarbeit verdammt.« anbau

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