: Ratlos gegen Gewalt
■ Diskussion über Jugendgewalt ohne Lösungsperspektive
Berlin. »Elfjährige laufen in der Stadt rum und berauben andere Leute«, sagt der Polizeibeamte Wolfgang Gerke, »vielen Jugendlichen ist egal, was mit ihnen passiert. Denen ist auch egal, was mit ihren Opfern passiert.« Jugend und Gewalt war das Thema einer Diskussion, die am Freitag von der »Interkulturellen Forschungs- und Arbeitsstelle« (IFA) der TU im Ernst-Reuter-Haus veranstaltet wurde. Eingeladen waren LehrerInnen, SozialarbeiterInnen, PolizistInnen — doch keine Jugendlichen. »Wenn hier drei Jugendliche säßen, wären sie nur ein Alibi. Für wen sollten die sprechen? Wir wollten uns in dieser Auseinandersetzung auch mit den Sichtweisen beschäftigen, die wir auf Jugendliche haben«, sagt eine der VeranstalterInnen, Waltraut Kerber-Ganse.
Für die Teilnehmer war klar: Es gibt immer mehr Banden und immer mehr Gewalt. Die Erklärungen, die sie für diese zunehmende Gewaltbereitschaft anboten, waren nicht neu. Jugendsenator Thomas Krüger vertrat die beliebte These, Fernsehbilder lösten Gewalt aus: »Diese Bilder von Gewalt werden dann einfach ausprobiert.« Als weitere Ursachen für Jugendgewalt bot Krüger an: familiäre Umstände — »zum Beispiel die Ehe als Zeitvertrag« —, Arbeitsplatzprobleme und die Zweidrittelgesellschaft.
Alexis Aronowitz, eine amerikanische Kriminologin, untermauerte diese Thesen mit einem Bericht über ein Forschungsprojekt »Jugendbanden«. Bei einer Befragung von 35 Jugendlichen hätten 40 Prozent Angst vor der Zukunft geäußert. 56 Prozent glauben, daß sie niemals den Job erhalten, den sie sich wünschen. Vorschläge, wie der Jugendgewalt beizukommen ist, waren so rar wie hilflos: »Mehr Sozialarbeiterstellen« war die häufigste Forderung. Zur Zeit gibt es in Berlin 15 Streetworker für die Arbeit mit Jugendlichen.
Vielleicht wäre bei dieser Diskussion mehr herausgekommen, wenn der Anspruch, sich mit der »eigenen Sichtweise auf Jugendliche zu beschäftigen«, eingelöst worden wäre. Die Frage einer Teilnehmerin nach der Gewalt von Eltern und Lehrern wurde übergangen: »Darüber müßte man sicher auch reden, aber mir geht es um die Opfer...« — der Jugendgewalt, versteht sich. Wenn Erwachsene den Ursachen der Gewalt hilflos gegenüberstehen, was erwarten sie dann von den Jugendlichen? Welche Möglichkeiten haben Jugendliche, auf sich aufmerksam zu machen — außer durch Gewalt? Diese Fragen wurden nicht gestellt. ana
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