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Prädikat: „Gerade noch bescheiden“

■ Waigel kündigt höhere Steuern an/ Lambsdorff fordert statt dessen Verzicht in Deutschland-West

Bonn (dpa/ap/taz) — Der Druck auf die westlichen Bundesländer, mehr Geld für Ostdeutschland zur Verfügung zu stellen, nimmt zu. „Der Bund stellt dieses Jahr 80 Milliarden für die neuen Länder bereit, die alten Bundesländer bisher lediglich 3,5 Milliarden Mark, sagte Finanzminister Waigel, der bis Mitte März erklären will, welche Steuern erhöht werden sollen. Wirtschaftsminister Möllemann (FDP) meinte bei der Eröffnung der Konsumgütermesse „Ambiente“ in Frankfurt, der jetzige Beitrag der alten Länder verdiene „gerade noch das Prädikat bescheiden“. „Begrenzte Steuererhöhungen“ zur Finanzierung des Aufschwungs im Osten dürften „kein Tabu mehr“ sein. Möllemann räumte ein, dies sei eine „Korrektur der bisherigen Position“, man habe die „Kumulation der Probleme in den neuen Bundesländern und des Nahen Ostens bislang unterschätzt“. Im Unterschied zu Möllemann lehnte FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff am Wochenende erneut Steuererhöhungen zur Finanzhilfe für Ostdeutschland entschieden ab. Nach seinen Vorstellungen sollen die westlichen Länder fünf Jahre lang zugunsten der ostdeutschen kürzer treten. Gleichzeitig plädierte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Hermann Otto Solms, am Sonntag für eine Erhöhung der Mineralölsteuer.

Für die SPD spach sich der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Rudi Walther, erneut eine Ergänzungsabgabe von zehn Prozent der Einkommenssteuer aus. „Das bringt 15 bis 18 Milliarden Mark, wenn man die Einkommensgrenze bei 50 000 Mark für Ledige bzw. 100 000 Mark für Verheiratete ansetzt“. Der Sozialexperte der SPD, Rudolf Dreßler, erregte sich am Wochenende, daß noch etwa 250.000 frühere SED-Größen Sonderrenten bis zu 12.000 Mark monatlich erhielten. Nach Angaben des Bonner Arbeitsministeriums müssen die Gelder allerdings laut Einigungsvertrag bis zum 1. Januar 1992 gezahlt werden.

Die grüne Politikerin Antje Vollmer sprach in Dresden zum Thema „Neubeginn und Restauration“. Sie beklagte, daß die Art und Weise in der der Einigungsprozeß vollzogen werde, im Osten Deutschlands „zwangsläufig ein stumpfes soziales Elend“ entstehen lasse. So würde eine lebendige Verbindung der beiden deutschen Hälften verhindert und auf der Basis von Demütigung eine neue Restauration bewirkt.

Am kommenden Sonntag werden sich die Regierungschefs der fünf neuen Bundesländer und Berlins erneut treffen, um ihr Vorgehen vier Tage später bei der Konferenz aller Länderregierungschefs mit dem Bundeskanzler zu beraten. Der Mecklenburgische Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU) forderte, die erheblich angestiegenen Steuermehreinnahmen in den alten Ländern müßten dorthin fließen, wo sie herkommen: in die neuen Länder.

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