piwik no script img

Philosophen zum Golfkrieg: Antworten auf eine taz-Umfrage ...

■ Die UNO-Resolution muß vollstreckt werden

In der erregten Diskussion der Weltöffentlichkeit um die Berechtigung der Gewaltanwendung gegen den Irak im Golfkrieg gibt es sehr verschiedene, für sich genommen relevante, doch miteinander konfligierende Argumente. Lassen sich diese Argumnente so gegeneinander abwägen, daß eine verantwortungsethisch begründete Stellungnahme in Bezug auf die jetzt gegebene Situation möglich wird? Im folgenden soll dies versucht werden. (Dabei beziehe ich mich u.a. auf das Interview der taz mit Ernst Tugendhat, das unter der Überschrift Hoffnung auf mehr Antiamerikanismus erschien.)

Worum geht es in der zur Zeit laufenden — und, wie zu befürchten ist, noch eskalationsträchtigen — kriegerischen Auseinandersetzung der multinationalen Streitkräfte mit dem Irak? Geht es um eine völkerrechtlich begründete und insofern legitime Polizeiaktion der UNO zur Befreiung Kuwaits (1)? Oder geht es um eine militärische Aktion der USA und ihrer Verbündeten zur Durchsetzung von Ölinteressen im Nahen osten (2)? Oder geht es darüber hinaus um die Zerschlagung der derzeitigen Vormacht der arabischen Welt (oder gar des Islams?) im Interesse Israels und seiner westlichen Verbündeten bei der Neuordnung der politischen und ökonomischen Machtverhältnisse im Nahen Osten (3)?

Es mag sein, daß alle drei Einschätzungsperspektiven mehr oder weniger berechtigt sind. Man mag auch — um das Gewicht von (1) im Vergleich zu (2) und (3) ideologiekritisch in Frage zu stellen — darauf hinweisen, daß die UNO in vergleichbaren Situationen nicht immer so reagiert hat wie im Falle Kuwaits — so z.B. nicht im Falle der Intervention der USA in Grenada und in Panama. Tatsächlich ist die beinahe einvernehmliche und eindeutig gegen den Irak als Aggressor gerichtete Entscheidung der UNO ein weltpolitisches Novum, das nur und erst durch das Ende des Antagonismus der Weltmächte — d.h. durch das Einvernehmen der USA und der Sowjetunion und die Stimmenthaltung Chinas im Sicherheitsrat der UNO — möglich wurde.

Doch was folgt aus solchen realhistorischen Kausalerklärungen der vorliegenden Tatsachen im Hinblick auf die Gewichtung der völkerrechtlich-moralischen Rechtfertigungsperspektive (1)? Ist der Umstand, daß nur und erst eine neue weltpolitische Machtkonstellation die eindeutige Verurteilung eines Aggressors und die Bereitschaft der UNO zur Erzwingung der Restitution der verletzten Rechtsordnung ermöglicht hat, ein Argument gegen das rechtlich-moralische Gewicht dieser Entscheidung? Oder wird dieses Gewicht zumindest dadurch in Frage gestellt, daß diejenigen Mächte, die sich als Vollstrecker der UNO-Entscheidung im Golfkrieg engagiert haben, dabei auch ihre nationalen Interessen im Sinne von (2) und möglicherweise von (3) verfolgen?

Mir scheint, es wäre ein Denkfehler, umstandslos einen solchen Schluß zu ziehen. Eher sollte man sagen: die neue weltpolitische Machtkonstellation, die hinter dem UNO- Beschluß in Sachen Kuwait steht, hat jetzt erstmals die Chance eröffnet, daß so etwas wie eine weltbürgerliche Rechts- und Friedensordnung, wie sie schon Kant für erstrebenswert hielt, auch mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt wird. Diese Einschätzung der Aktionen gegen den Irak gilt jedenfalls solange, als die beteiligten Streitkräfte nicht Anlaß dazu geben, ihre Aktionen als ungeeignetes Mittel zur Durchsetzung der UNO-Beschlüsse zu betrachten.

Hier setzt nun allerdings das bei weitem wichtigste und möglicherweise durchschlagende Argument gegen die Einleitung der zur Zeit laufenden Aktionen gegen den Irak an: Ausgehend von einer Einschätzung der Verhältnismäßigkeit im Vergleich der Besetzung Kuwaits durch den Irak und der jetzt laufenden Zerstörungsaktionen gegen den Irak, kann man mit vielen Gründen die Meinung vertreten, daß es im Interesse aller Beteiligten und Betroffenen besser gewesen wäre, auf die langfristige Wirkung des wirtschaftlichen Embargos gegen den Irak zu setzen. Freilich gibt es auch in dieser Hinsicht triftige Gegenargumente, die auf die Möglichkeit einer Änderung der Macht- und Interessenkonstellation zugunsten Saddam Husseins und insofern auf die Gefahr einer Verwässerung der UNO-Resolution hinweisen.

Doch nehmen wir einmal an, es wäre besser gewesen, auf die Wirkung des Embargos zu setzen: würde daraus folgen, daß auch zum jetzigen Zeitpunkt das Gebot einer Verantwortungsethik dahingeht, die kriegerischen Aktionen so schnell wie möglich abzubrechen, ohne auf die Bedingung einer erklärten Bereitschaft Saddam Husseins zum Rückzug aus Kuwait zu bestehen?

Ich denke, dies wäre wiederum ein Fehlschluß, dessen wahrscheinliche Konsequenzen gerade nicht zu verantworten wären. Denn der bedingungslose Abbruch der Kriegshandlungen durch die multinationalen Streitkräfte könnte unter den gegenwärtigen Situationsbedingungen wohl nur als Sieg Saddam Husseins, und das heißt: als Verzicht auf die Durchsetzuung der UNO-Resolution, gewertet werden. Es kann jetzt m.E. nur noch darum gehen, den Krieg mit einem Minimum an Opfern im Sinne der UNO-Resolution siegreich zu beenden. Dabei käme es allerdings darauf an, bei den Völkern der arabischen Welt den Eindruck zu widerlegen, der Krieg diene in erster Linie den Interessen der westlichen Nationen und nicht der Vollstreckung eines UNO-Beschlusses. Um eine solche Politik glaubwürdig zu vertreten, müßte auch das Ziel einer künftigen Friedensordnung im Nahen Osten jetzt schon in einer, auch für die Araber plausiblen Form herausgestellt werden. Karl-Otto Apel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen