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Auch Lambsdorff für höhere Steuern

■ FDP-Präsidium spricht Machtwort nach chaotischer Meinungslage am Wochenende/ Berliner SPD erörtert Anhebung der Mehrwertsteuer/ Erste ostdeutsche Kommune stellt Verwaltungsbetrieb ein

Berlin (taz) — Gestern hat sich die FDP bemüht, den am Wochenende entstandenen Eindruck einer heillos zerstrittenen Partei wieder gutzumachen. Nach kontroversen Äußerungen von Parteichef Otto Graf Lambsdorff, Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Wirtschaftsminister Möllemann und dem Bonner Fraktionsvorsitzenden Hermann Otto Solms über die Frage von Steuererhöhungen hat sich nun das FDP-Präsidium einmütig für Steuererhöhungen ausgesprochen. Um einem allzugroßen Gesichtsverlust zu entgehen, erklärte Lambsdorff allerdings gestern dazu in Bonn, daß die so erzielten Einnahmeverbesserungen nicht allein zur Finanzierung der neuen Bundesländer herangezogen werden sollten, sondern auch zur Bewältigung der Lasten für Osteuropa und den Golfkrieg. Noch am Wochenende hatte der Parteichef daran festgehalten, daß die Probleme im Osten der Republik ohne Steuererhöhungen gelöst werden könnten.

Gleichzeitig lehnte es Lambsdorff gestern ab, Vorschläge zu machen, welche Steuern erhöht werden sollten. Seine Partei will auf die Vorschläge des Bundesfinanzministers warten. Die FDP werde aber alles ablehnen, was den Nettogewinn von Investoren schmälere. Außerdem müßten die neuen Länder früher als 1994 in den Länder-Finanzausgleich einbezogen werden.

Auch die Berliner SPD hat sich gestern für Steuererhöhungen zur Finanzierung der Kosten in den neuen Bundesländern und Berlin ausgesprochen. Besserverdienende sollten mit einer zehnprozentigen Ergänzungsabgabe belastet und die Mineralölsteuer um zehn Pfennig pro Liter angehoben werden. Ferner soll ausgerechnet die Mehrwehrtsteuer, die Arbeitslose wie Spitzenverdiener gleichermaßen belastet, um einen Prozentpunkt erhöht werden.

Unterdessen hat sich gestern die 3.500-Seelen-Gemeinde Dermbach in der thüringischen Rhön entschlossen, dem Loch in der Kasse Rechnung zu tragen. Als erste ostdeutsche Kommune hat sie den Verwaltungsbetrieb eingestellt. Wie Bürgermeister Harald Wehner (CDU) ausführte, können die Heizkosten für Schule und Kindergarten nicht mehr beglichen werden, außerdem sei absehbar, daß die kommunalen Löhne und Gehälter nicht mehr bezahlt werden können. Er beklagte, daß einige bereits Anfang Dezember 1990 zugesagten Kredite noch immer nicht ausgezahlt worden seien.

Insbesondere diese Äußerung konfligiert mit Angaben der Deutschen Bundesbank über sogenannte Kassenkredite von 40 Mark je Einwohner, die allen Bundesländern zur Vefügung stünden und am 7.Februar praktisch noch überhaupt nicht beansprucht worden seien. Darüber hinaus wollte die Bundesbank, so das 'Handelsblatt‘ gestern, nicht dementieren, daß die fünf neuen Bundesländer bei ihr über Kontoguthaben von vier bis fünf Milliarden Mark verfügten, die jederzeit abrufbar seien.

Mit Blick auf die Sondersitzung der Länderfinanzminister am Donnerstag dieser Woche wollen Experten aus Bund und Ländern eine Plausibilitätsprüfung der Finanzforderung aus dem Osten vornehmen.

Nach einer heftigen Attacke Peter Paternas (SPD), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Post und Telekommunikation, auf den Telefonminister Schwarz-Schilling ist gestern in Bonn angekündigt worden, Ende dieses Jahres solle der größte Teil der Tarife bei den Ferngesprächen zwischen Ost- und Westdeutschland und innerhalb der neuen Bundesländer angeglichen werden. bg

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