Bonn: Berlin ist uns lieb, aber zu teuer

■ Bonn-Lobby fühlt sich von Prognos-Studie bestätigt/ Regierung soll in Bonn bleiben, damit es den Ossis schnell besser geht

Bonn (taz) — Als die Mauer fiel, drängte Berlin auf eine rasche Entscheidung über den Regierungssitz. Jetzt, nachdem sich andeutet, daß der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten die Bonner Abgeschiedenheit heimeliger ist als das lärmende und schmutzige Berlin, schiebt Bonn und bremsen die Berliner. Der Zuschlag für Berlin, so vertritt der neue Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU), könne nur „in angemessener Frist getroffen werden“. Die SPD-geführte Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Stadt Bonn wollen dagegen noch vor der parlamentarischen Sommerpause des Bundestags eine Entscheidung herbeiführen — auch, um Berlin alsbald Klarheit zu geben, heißt es.

Wie eine Entscheidung einzig und allein auszusehen hat, haben die Bonner Stadtväter gestern mit einem Gutachten des schweizerischen Prognos-Instituts unterfüttert. Danach würde die Verlegung des Regierungssitzes nach Berlin zwischen 50 und 60 Milliarden Mark kosten. Rund 54.000 Arbeitsplätze bei Bundesbehörden und bei den Medien, dem diplomatischen Korps und anderen Organisationen müßten verlagert werden, was einen Umzug von 100.000 Menschen bedeutete. In Berlin müßten nach Prognos allein 12 Milliarden Mark für den Neubau und die Sanierung von Büroflächen sowie 17 Milliarden Mark für den Wohnungsbau ausgegeben werden, um den Regierungstroß unterzubringen. Die wirtschaftlichen Gesamtverluste für die Region Bonn werden noch einmal auf 20 bis 30 Milliarden Mark beziffert.

Mit auftragsgemäß abgelieferten Horrorzahlen, wie es der Berliner Bundesratssenator Radunski (CDU) mit dem Motto „Nachtigall, ick hör' dir trapsen“ charakterisierte, wollen die Prognos-Forscher nichts zu tun haben. Man sei im Gegenteil sehr „vorsichtig“ verfahren und habe eher zu niedrig angesetzte Zahlen verwendet, verteidigen sie sich. So sei berücksichtigt worden, daß nur 80 Prozent der Arbeitsplätze verlagert werden müßten, weil der Rest durch Stellenwechsel und vorzeitigen Ruhestand ohnehin frei werde.

Egoistische Interessen leiten die Bonn-Lobby natürlich nicht; es gehe vielmehr um die neuen Verwandten in der ehemaligen DDR, versichert treuherzig NRW-Minister Clement. Gerade weil man möglichst schnell gleichwertige Lebensbedingungen in Ostdeutschland schaffen wolle, sei es „nicht vertretbar“, die vielen Milliarden für die Verlagerung des Regierungssitzes auszugeben. Gerd Nowakowski