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Null-drei-sieben — ein Stoßgebet...

■ Das Telefonieren in den Ostteil soll leichter werden

Berlin. Mein eigener Rekord liegt bei 86 Versuchen. Eine beeindruckende Leistung, den Profis nötigt das bloß ein müdes Lächeln ab. Es soll Leute geben, die den ganzen Tag nichts anderes tun als wählen. Und wieder andere, die sich krankenhausreif gewählt haben. Das können nur die mit den alten Wählscheiben sein. Wir anderen drücken ja bloß noch lasch die Wiederholungstaste, einen der Meilensteine in der Entwicklung der Kommunikationstechnik. Ohne sie würde kein Mensch mehr in den neuen Bundesländern anrufen. Nicht vor 1993 wenigstens, dann soll's laut Bundespostminister besser werden. Aber wer glaubt schon einem Bundespostminister?

Ich jedenfalls glaube nur noch Arndt, und Arndt hat gesagt, es gibt keine Nummer, die so schwer anzuwählen ist wie die 03733-360. Dahinter verbirgt sich der Rat der Stadt Potsdam, und er verbirgt sich gut. ALs ich das erste Mal durchkam — ungefähr Wahlversuch 16 — meldete sich das Umweltamt, ein netter Herr, aber ungehalten. Zu Recht, 'tschuldigung. Beim zweiten Mal — 28 — stieß ich auf Evelyn S. in der Kantstraße, Potsdam-West. Hat mich zum Kaffee eingeladen. Beim dritten Durchkommen — 29!! — landete ich mitten in einem Gespräch zwischen einem Schlosser und seinem Zulieferer. 3.000 Achter-Holzschrauben, vernickelt. Ich hab zugesagt. Der Rat der Stadt Potsdam allerdings hielt sich bedeckt.

Natürlich wissen wir alle, woran's liegt: Leitungen aus dem Pleistozän, Relaisstationen aus der Kreidezeit, Verwüstungen in den Installationen aus den Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Und der Postminister läßt ja, wie gesagt, äähm, hart arbeiten.

Sicher, es gibt ein paar Tricks. Da wäre zum Beispiel die Vermittlung per Fernamt. Kostet zwar extra, aber wenigstens braucht man nicht mehr selber zu wählen. Bloß 16 Stunden zu warten, bis das Fernamt zurückruft. Bewährt hat sich dann auch hier wieder die Neue Religiosität — null-drei-sieben, ein Stoßgebet, drei-drei-drei, eine Handvoll Ave Marias, sechs-null. Reduziert die Wahrscheinlichkeit einer positiven Kontaktaufnahme beim ersten Wahlvorgang von 1:4.000.000 auf 1:3.834.216. Abzuraten ist von Funktelefonen. Inzwischen hat sich jeder Schnürsenkelhändler auf Dienstreise zwischen Dresden und Greifswald damit versorgt. Hochgradige Überlastung. Es sollen hilflose BMW- Fahrer gesichtet worden sein, die weinend neben Telefonmasten auf offener Landstraße herumstanden und sehnsüchtig zu den Drähten hinaufstarrten. Und man hat von Taxikutschern gehört, die vom Flughafen Tegel schneller bei einer Adresse in Hohenschönhausen ankamen als der Fahrgast selbige mit seinem Köfferchentelefon anwählen konnte. Bei mittlerem Staukoeffizienten eine 45-Minuten-Fahrt.

Die Schlaumeier in den Ministerien der brandenburgischen Landesregierung haben sich klammheimlich ans Westberliner Telefonnetz anschließen lassen. Damit sie wenigstens ab und zu bei Waigel wegen der versprochenen 35 Mark für die Topfpflanzen nachfragen können. Mehr soll's ja vor den Steuererhöhungen nicht geben.

Bleibt angesichts dieses großen Telefon-Ex die im Alten Osten früher so beliebte Frage: »Was tun?« Und die im Alten Westen mindestens genauso attraktive Antwort: »Aussitzen«. Ich allerdings werde auf dem Weg zu Evelyn den Rat der Stadt Potsdam aufsuchen und nachsehen, ob die Telefonzentrale über einen grauen oder einen braunen Apparat verfügt. Günther Grosser

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