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„Zu Hause fühle ich mich einfach sicherer“

Die Deutsche Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie unterstellt zu Hause Gebärenden und ihren Geburtshelfern Leichtfertigkeit Bei der Hausgeburt wird nicht auf moderne Technik verzichtet/ Eine ständig anwesende Hebamme erleichtert die Geburt  ■ Von Winfried Reuter

Nach früheren Krankenhausaufenthalten stand für Tjorvon F. fest, daß ihr erstes Kind dort nicht zur Welt kommen sollte. Die Art und Weise der Geburt wollte sie so weit als möglich selbst bestimmen und nicht eingebunden sein in einen fremden, vorgegebenen Ablauf. „Die Geburt habe ich als meine Sache betrachtet. Zu Hause fühlte ich mich einfach sicherer, unverkrampfter und spontaner“, begründet sie ihren Entschluß für eine Hausgeburt. Entscheidend war dabei auch, daß die Geburt für sie nicht zwangsläufig eine Risikosituation bedeutete, sondern „eigentlich etwas Einfaches, nichts, wovor man Angst haben müßte“.

Im Gegensatz zu Tjorvon F. führt aber die gegenwärtige, meist emotional geführte Diskussion um die Hausgeburt bei vielen Schwangeren zur Verunsicherung und Ratlosigkeit. Wieder einmal gibt es Überlegungen, die auf ein Verbot der Hausgeburtshilfe abzielen. Die Deutsche Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie unterstellt zu Hause gebärenden Müttern und ihren Geburtshelfern Leichtfertigkeit und Vernachlässigung des kindlichen Sicherheitsbedürfnisses.

Die Geburt wird von den meisten Geburtshelfern grundsätzlich als Risikosituation gesehen, deren Gefahren nur in der Klinik wirksam begegnet werden kann. Eine solche „Medizinierung“ von an sich natürlichen Vorgängen wird dem Wesen der Geburt nicht gerecht und führt zu einer frühzeitigen Verunsicherung der Schwangeren. Häufig wird auch mit statistischen Zahlen gegen die Hausgeburtshilfe argumentiert. Statistiken sind notwendig, erfassen aber stets nur Aspekte der Wirklichkeit und nie die Individualität. Keiner der werdenden Mütter, die ich während Schwangerschaft und Hausgeburt bisher ärztlich betreut habe, darf man Leichtfertigkeit vorwerfen. Im Gegenteil: Vorbereitende Kurse, Schwangerenvorsorge sowie die eigene Lebensführung ließen bei nahezu allen Frauen und Paaren ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein erkennen.

Eines der Merkmale, in denen sich die Hausgeburt von der Klinikgeburt unterscheidet, ist die persönliche Beziehung zwischen Hebamme und Schwangerer. Diese Verbindung entsteht während der Vorsorgeuntersuchungen und bewährt sich bei der Entbindung und im Wochenbett. Im Krankenhaus hingegen trifft die Schwangere im allgemeinen auf Personal, das sie überhaupt nicht kennt. Persönliche Beziehung und Vertrauen wirken Ängsten und Verspannungen entgegen und mindern mögliche Komplikationen.

Gebären in Sicherheit und Geborgenheit

Bestimmte Bedingungen sollten erfüllt sein, damit ein Kind zu Hause geboren werden kann: Im Einklang mit sich selbst zu sein sowie Vertrauen zu sich zu haben. Beides hat auch mit der Schönheit der Geburt zu tun. Vertrauen muß auch zu der entbindenden Hebamme sowie dem die Geburt begleitenden Arzt bestehen. Wachsen kann Vertrauen während der Schwangerenvorsorge und in Vorbesuchen, die von den Hebammen vor der Geburt durchgeführt werden.

Schwierigkeiten während der Geburt kündigen sich nach unserer Erfahrung meist mehr oder weniger deutlich im Schwangerschaftsverlauf an. Allerdings bedarf es schon eines offenen und aufmerksamen Verhältnisses zwischen der Schwangeren und den Geburtshelfern, um auch solche Warnsignale zu erkennen, die nicht meßbar und apparativ registrierbar sind. Auch Ängste, Befürchtungen und Vorbehalte müssen zur Sprache kommen können. Solange Vorbehalte gegen die Hausgeburt nicht ausgeräumt werden können und es an Vertrauen zu sich selbst hinsichtlich des Geburtsgeschehens mangelt, solange ist die Geburt zu Hause nicht die richtige Entbindungsform. Selbstverständlich verbietet sich eine Hausgeburt auch bei unnormaler Lage oder unzureichender Nährstoffversorgung des Kindes. Auch mütterliche Erkrankungen, wie Zucker und Bluthochdruck, sprechen gegen eine Hausentbindung. Die Säuglingssterblichkeit während oder unmittelbar nach der Geburt resultiert zum größten Teil aus der Frühgeburt. Deren Ursachen wurzeln nicht selten in psychosozialen Strukturen wie Probleme in der Partnersituation, am Arbeitsplatz, finanzielle Schwierigkeiten etc. Unreife Kinder dürfen nicht zu Hause entbunden werden.

Zur Geburtserleichterung trägt wesentlich eine immer anwesende Hebamme bei. Untersuchungen aus Amerika belegen: Wenn ständig eine betreuende Person während der Wehen bei der Mutter unterstützend wirkt, lassen sich kürzere Geburtszeiten sowie eine Abnahme der Komplikationsraten und der operativen Entbindungen verzeichnen. Unsere Erfahrungen belegen den hohen Wert einer ständig anwesenden Fachkraft, zu der ein Vertrauensverhältnis besteht.

Moderne Technik auch bei der Hausgeburt

Der/die die Geburt begleitende Arzt/ Ärztin wird sich im Hintergrund aufhalten. Dabei ist auch zu Hause das alte Holzhörrohr bei weitem nicht mehr das ausschließliche geburtshilfliche Instrument. Auf moderne Technik muß auch in der Hausgeburtshilfe nicht verzichtet werden: Herzton-Wehenschreiber, Saugglocke, Zange, Sauerstoffgerät und Notfallinstrumente werden vom Arzt ebenso mitgeführt wie ein Großteil der kliniküblichen Medikamente. Zur Anwendung kommen diese Geräte selbstverständlich selten. Medikamente sind während einer normal verlaufenden Geburt meist nicht notwendig. Sofern aber doch ein medikamentöses Eingreifen erforderlich wird, sollten zunächst homöopathische oder pflanzliche Arzneimittel eingesetzt werden. Fußzonenmassage und Akupunktur lassen sich gut zu Hause anwenden.

Die Gebärhaltung hat einen wesentlichen Einfluß auf den Wehen- und Geburtsverlauf. Meist wird von den werdenden Müttern die jeweils richtige Geburtsstellung von selbst eingenommen. Dabei kann sowohl eine sitzende oder stehende Position als auch eine Knie-Ellenbogenlage die günstigste Gebärhaltung sein. Eher selten bevorzugen Frauen liegende Positionen, und schon manche Kreißende, die im Liegen während der letzten Geburtsphase unzureichende Wehen hatte, konnte im Stehen ohne Probleme und Medikamente entbunden werden.

Die „Begrüßung“ des angekommenen Menschenwesens wird von den Eltern individuell sehr unterschiedlich gestaltet. Bei Wahrung der Intimsphäre kann die Kontaktaufnahme zwischen Eltern und Kind ungestört und harmonisch verlaufen.

In den ersten Wochen nach der Geburt sind Frauen häufig besonders empfindsam. Störungen und Schwächungen des Selbstbildes wirken nachhaltig. Gerade in dieser Zeit wird die Hilfe der Hebamme, die auch Schwangerschaft und Geburt betreute, von den meisten Frauen sehr geschätzt.

Eine Frau bat um unsere Hilfe bei der Geburt ihres zweiten Kindes. Das erste Kind kam in einer Berliner Klinik zur Welt. Dabei ließen während der letzten Geburtsphase die Wehen nach und ein Wehentropf wurde eingesetzt. Das Kind mußte mit einer Saugglocke entbunden werden. Die Mutter hatte diese Situation als für sie sehr traumatisch erlebt. Die zweite Geburt verlief zunächst völlig normal, aber in der letzten Geburtsphase wurden die Wehen wiederum schwächer. Viel Geduld, eine aufrechte Gebärhaltung, heiße Kompressen und die Stimulation bestimmter Akupunkturpunkte führten zum Wiedereinsetzen der Wehen und zur Geburt eines gesunden Kindes.

Auch Tjorvon F. brachte nach normal verlaufender Schwangerschaft ein gesundes Kind in ihrer Wohnung zur Welt. Da die Geburt mit einem Blasensprung begann und dann sehr schnell voranging, bedeutete es für sie eine große Erleichterung, sich nicht auf den Weg ins nächste Krankenhaus machen zu müssen. Zu Hause war längst alles für die Geburt vorbereitet.

Der Autor leistet als Frauenarzt Hilfe bei Hausgeburten.

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