piwik no script img

Aufreizende Kanaldeckel...

■ ...und Blues auf dem Spielbrett: Der bremische Spieloholic Hajo Bücken verwandelt die Welt in Spiele

Erster Eindruck: ein hoher Raum, sachlich-nüchtern, lange, aufgeräumte Arbeitstische, der Computer am Fenster. Aber eine Tür weiter: schummrig, ein runder Holztisch, bedeckt mit Büchern, Schnippseln, bunten Papierkugeln: Probierecke. So ist auch der Bewohner, Hajo Bücken, Spiele-Erfinder und Spielpädagoge, eine Mischung aus kreativem Chaos und Disziplin.

Hajo Bücken ist die Arbeitsstätte für Neues Spielen. In seinem Büro Am Dobben schreibt er seit fast zehn Jahren Bücher über Spiele und übers Spielen, bringt LehrerInnen und JugendgruppenleiterInnen das Spielen bei und tüftelt neue Spiele aus. Sein Erstlingswerk entstand aus einer Notlage. Er hatte mit einer Gruppe von Ex-Reservisten seinen Wehrpaß zurückgeschickt. Dafür wurde ihm eine saftige Geldstrafe aufgebrummt. Zur Finanzierung entwickelte Bücken das Spiel „Entrüstet Euch“, das 1981, in der Blütezeit der Friedensbewegung, wegging wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln.

Über 100 Brettspiele sind in

Hajo Bücken: Plötzlich springt er wieder auf und macht sich Notizen Foto: Falk Heller

zwischen den gewundenen Pfad von Bückens Hirn bis zur Produktionsreife gewandert, teils im Selbstverlag, teils über die großen Spieleverlage wie Ravens

hierhin bitte

den Mann

mit lauter

Spielen

burger oder Herder. Nicht gezählt hat er die „Gelegenheitsspiele“, die er für Seminare und Spielgruppen „erfunden“ hat.

Spiele-Erfinden ist harte Ar

beit. Das „findet“ sich nicht so einfach nebenbei. Zündende Ideen allerdings schon. Bückens (fast) ganze Wahrnehmung ist auf Spiele eingestellt. Eine Sequenz in einem Film, ein Satz in einer Kneipenunterhaltung, plötzlich springt der Spieloholic auf, um sich Notizen zu machen. A game was born. Ideen kommen aber auch über reizvolle Materialien: bunte Papierkugeln, dreieckige Marmorsteinchen oder Kanaldeckel. „Mir ist vor Jahren mal aufgefallen, daß Kanaldeckel unheimlich tolle Muster haben. Daraus mache ich bestimmt nochmal ein Spiel.“

Selbst die Prüfung in „Ästhetik des Spielens“ an der Uni Göttingen hat der 46jährige zum Spiel gemacht: Er spielte mit den Prüfern „Diktator“, selbst erdacht, gewinnen kann nur, wer sich mit anderen zusammentut. Kooperative Spiele sind bis heute sein Ding. Schach zum Beispiel findet er „grausam. Das ist Krieg auf dem Spielbrett.“ Er will „durch Spiele was bewegen.“ Gerade hat er ein Buch darüber geschrieben, wie man mit spielerische Methoden „Das Fremde überwinden“ kann. Spielen ist für ihn Probehandeln, allerdings wertlos, wenn der Spaß auf der Strecke bleibt.

Auf seinem Wuseltisch liegt der Prototyp eines Indianerspiels, seit zwei Jahren in der Erprobung. Noch wird daran gefeilt. „Das könnte das erste wirklich spannende Kooperationsspiel werden“, hofft Bücken, die Grundidee ähnelt ein bißchen seinem Lieblingsspiel „Doppelkopf“. Seine Ideenblitze entwickelt er meist mit einem Bielefelder Mathematik-Lehrer weiter. Eine fruchtbare Zusammenarbeit: „Ich bin der Überpendler mit den versponnenen, verrückten Ideen, und er zieht mich wieder auf den Boden runter.“ FreundInnen und Bekannte müssen ständig probespielen. „Aber man kann mit mir auch noch über was anderes reden.“

Letzte Nacht hat er beim Einschlafen einen Blues gehört. „Ein Spiel über Blues. Gitarren, die Bühne als Spielbrett. Um auftreten zu können, braucht man noch Mitspieler...“ Annemarie Struß-v.Poellnitz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen